Hannover/Braunschweig. Synagogen, Friedhöfe, historische Bauten - viele Orte in Niedersachsen zeugen von jüdischem Leben. Einige von ihnen finden sich jetzt online mit ausführlicher Darstellung im öffentlichen Denkmalatlas.

Vom Mittelalter bis heute - jüdische Gemeinden waren und sind in vielen Städten Niedersachsens mitprägend für das kulturelle, soziale und religiöse Leben. Davon zeugen auch Synagogen und Friedhöfe. Es ist aber eine wechselvolle Geschichte, wo Leben und Leid oft nah beieinander lagen. Geschichte lebt auch in Bauten, die nun in der "Jüdischen Topographie Niedersachsen" präsentiert werden und von Montagabend an online zugänglich sind.

Verantwortlich für das 2020 begonnene Projekt ist das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege, die Bet Tfila - eine Forschungsstelle für jüdische Architektur an der Technischen Universität Braunschweig - und das Center for Jewish Art an der Hebrew University of Jerusalem.

"Es geht um nicht weniger als die Orte und Objekte jüdischer Kultur und Geschichte im Kontext der gesamten Kultur- und Denkmallandschaft unseres Bundeslandes sichtbar zu machen", sagte Christina Krafczyk, Präsidentin des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege (NLD). Dafür sei nichts besser geeignet als der Denkmalatlas Niedersachsen.

Mit dem digitalen Denkmalatlas Niedersachsen des NLD werden seit 2019 erstmals so gut wie alle Denkmale Niedersachsens - allein im Bereich Bau- und Kunstdenkmalpflege rund 100.000 Einzeldenkmale und Objekte in Gruppen baulicher Anlagen - online zugänglich gemacht. Und nun auch die jüdische Topographie, bei der zunächst rund 20 Objekte vertieft dargestellt werden.

"Auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen gab es bis zur Zerstörung und Vernichtung durch antisemitische Deutsche in der Zeit des Nationalsozialismus rund 130 jüdische Gemeinschaften mit einer Vielzahl religiöser, sozialer und kultureller Einrichtungen", betonte Ulrich Knufinke, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter des NLD und als wissenschaftlicher Leiter der Bet Tfila-Forschungsstelle das Projekt koordiniert. Bet Tfila ist hebräisch und heißt Haus des Gebets.

Die Enteignungen jüdischen Eigentums in der NS-Zeit und schließlich die Zerstörungen der Pogromnacht im November 1938 hätten zu einem unwiederbringlichen Verlust dieses einst reichen jüdischen Kulturerbes geführt. Erhalten blieben seien nur wenige Objekte, die nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit nicht als bedeutend betrachtet wurden. Auch Orte der Zerstörung sollen in die Datenbank aufgenommen werden.

Der Vorsitzende des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Michael Fürst, bezeichnete die Veröffentlichung der "Jüdischen Topographie Niedersachsen" als besonders Ereignis, "an das wir vor Jahren und Jahrzehnten noch nicht gedacht hätten". Erinnerung sei der eine Teil der Medaille - Zukunft der andere. "Und daher ist auch die Jüdische Topographie im Denkmalatlas Niedersachsen auf die Zukunft gerichtet."

Beginnend mit den rund 220 jüdischen Friedhöfen und den baulich erhalten gebliebenen Synagogen, sollen nach und nach viele weitere Einrichtungen und Gebäude jüdischer Gemeinschaften in den Denkmalatlas und damit in die Jüdische Topographie Niedersachsen eingearbeitet werden.

"Das Wiederentdecken der jüdischen Einflüsse ist gerade in einer Zeit, in der wir leider wieder über Antisemitismus und Ausgrenzung sprechen müssen, ein besonders wichtiger Punkt", betonte Niedersachsens Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler (CDU). "Jüdische und deutsche Geschichte sind auf das Engste miteinander verbunden. Wir sollten das Verbindende suchen. Dafür bin ich allen, die am Projekt beteiligt sind, sehr dankbar."

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