Hannover. Mediziner, Soziologen und andere Wissenschaftler haben sich in Hannover über die Auswirkungen der Pandemie auf die Jüngsten ausgetauscht. Wie will das Land ihnen helfen?

In Niedersachsen soll in einer interdisziplinären Studie das neue Krankheitsbild Long Covid bei Kindern und Jugendlichen untersucht werden. In der Regel hätten coronainfizierte Kinder zwar relativ harmlose Verläufe, sagte der Kinderarzt Thomas Buck am Montag in Hannover. Studien zufolge müssten allerdings zwei bis vier Prozent der jungen Covid-Patienten mit Langzeitfolgen rechnen. Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) sagte, dass die Studie mit der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und ihr verbundenen Einrichtungen geplant sei. Mit im Boot sei auch das niedersächsische Sozialministerium.

Von Long Covid spricht man, wenn nach einer überstandenen Coronainfektion Symptome länger als vier Wochen bestehen oder neue hinzukommen. Das postvirale Fatigue-Syndrom - eine lähmende Müdigkeit und fehlende Belastbarkeit - gehört zu den häufigsten Folgen. Es gibt Dutzende Langzeit-Beschwerden, die etwa Atmung, Psyche, Konzentrationsfähigkeit oder Gedächtnis betreffen.

Nach den Plänen sollen die Kinderarztpraxen im Land die ersten Anlaufstellen sein. Eingebunden werden müssten aber auch Fachärzte und vor allem Kinder- und Jugendpsychiater, sagte Buck. Gemeinsam mit Sportmedizinern sollen spezielle Trainingsprogramme für Kinder mit Long Covid entwickelt werden. In Niedersachsen leben knapp 1,4 Millionen unter 18-Jährige.

Am Montag hatte sich in Hannover ein Expertenkreis auf Einladung des Wissenschaftsministeriums getroffen, um über die Folgen der Pandemie zu diskutieren. Die Fachleute appellierten an alle Erwachsenen, sich impfen zu lassen, um Kinder zu schützen - sie litten besonders gravierend unter den Folgen der Pandemie. "Dadurch, dass Erwachsene das Impfen verweigern, sind Kinder und Jugendliche in ihrem Tun eingeschränkt", kritisierte Minister Thümler. Wer sich nicht impfen lasse, gefährde bewusst andere Menschen.

Derzeit berichteten fast alle psychiatrischen Kinderkliniken von einem Anstieg der Notaufnahme-Fälle, sagte Luise Poustka, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttingen. Die als Notfälle aufgenommenen Jugendlichen seien oft suizidgefährdet. Häufig würden schwere Depressionen, Angststörungen oder lebensbedrohliche Essstörungen diagnostiziert. Auch jüngere Kinder werden Poustka zufolge vermehrt akut krank. Sie könnten sich dem Druck und Stress in Familien nur schlecht entziehen.

Die Grünen im Landtag forderten eine Stärkung der Kinder- und Jugendarbeit in Niedersachsen, um die psycho-sozialen Folgen für Kinder einzudämmen. Dringend nötig seien Angebote für benachteiligte Kinder und Jugendliche und arme Familien, sagte der sozialpolitische Sprecher der Partei, Volker Bajus. Hier müsse die Landesregierung viel stärker einsteigen. Kita, Schule, Sportvereine und Freizeittreffs hätten wichtige stabilisierende und entwicklungsfördernde Funktionen.

© dpa-infocom, dpa:211004-99-478221/3