Bremen/Hannover. Ist das noch Protest oder schon Urlaub? Klimacamp, Protestcamp - wer für etwas eintritt, versucht Aufmerksamkeit zu erregen, indem er auch mal an prominenter Stelle zeltet. Die Aktivistinnen und Aktivisten wirken dabei entschlossen.

Wer zeitgemäß protestieren will - macht Camping. In der Corona-Pandemie sind Versammlungen und Demonstrationen mit Tausenden von Menschen schwer zu vermitteln. Die Lösung: Autobahngegner wollen mit einem Protestcamp im Kreis Ammerland versuchen, Widerstand gegen den Ausbau der A20 zu mobilisieren, am Hartensbergsee im Kreis Vechta treffen sich rund 230 Menschen in einem Protestcamp gegen die Agrarindustrie und in Hannover und Bremen demonstrieren meist junge Aktivistinnen und Aktivisten in Klimacamps für mehr Klimaschutz - direkt neben den Rathäusern.

"Insbesondere im Zuge der Corona-Pandemie ist die Zahl von Klimacamps gewaltig gewachsen, da sie lokal vor Ort auf die Klimakrise aufmerksam machen können, ohne Tausende von Menschen auf einmal zu beherbergen", schreiben die Fridays-for-Future-Aktivisten auf ihrer Internetseite, die zahlreiche Stadtcamps auflistet, darunter auch in Köln, Lüneburg, Augsburg und Nürnberg. Auch in Brunsbüttel entsteht am Wochenende ein Protestcamp gegen ein geplantes Terminal für Flüssigerdgas (LNG).

Schon seit Ende April campieren in Bremen Aktivisten direkt unter dem Büro des Regierungschefs Andreas Bovenschulte (SPD). Am Samstag sind es 100 Tage. Das "alkohol-, nikotin- und drogenfreie und vegane" Camp mit sieben Zelten ist rund um die Uhr mit mindestens drei Leuten besetzt. Dank des Mottos "Die Bürgerschaft verschläft den Klimawandel" dürfen die Klima-Camper laut Oberverwaltungsgericht dort auch übernachten.

"Die Übernachtungsinfrastruktur weist eine enge konzeptionelle und inhaltliche Verknüpfung mit den Versammlungsthemen auf", formulierte das OVG im Amtsdeutsch, was Klima-Aktivist Tobias (26) treffend so ausdrückt: "Schlafen gilt als Protestform." Das musste auch das Ordnungsamt einsehen, das das Übernachten zuerst untersagen wollte.

In Hannover übernachteten etwa 10 bis 15 Menschen in dem Camp mit rund einem Dutzend Zelten, sagt Helen Knorre, Sprecherin von Fridays for Future in Hannover. Zu den Vorträgen und Diskussionen kommen dann auch 30 Menschen und mehr. Wegen der prominenten Lage des Camps am Rathaus kämen die Aktivisten oft mit Passanten ins Gespräch, das teils auch hitzig ausfalle. Andererseits: Die Menschen brächten auch Lebensmittel und seien bereit, für das Camp zu kochen.

Auch Politiker hätten vorbeigeschaut und Unterstützung zugesichert. Aber wollen die Aktivistinnen und Aktivisten überhaupt Unterstützung und Zuspruch? Sie wollen viel mehr: Wenn Entscheidungsträger kämen, gehe es nicht um Unterstützung, sondern darum, "unsere Forderungen umzusetzen", betonte Knorre. Denn das Motto des Klimacamps sei: "Wir bleiben, bis die Politik handelt."

Nach Angaben der Landeshauptstadt handelt es sich bei dem Protestcamp um eine von der Stadt genehmigte Kundgebung, die vom 8. bis zum 31. Juli dauert. Für die Fridays-for-Future-Sprecherin ist das eine bürokratische Formalie - zuerst sei das Camp bis Ende 2035 angemeldet worden, bis dahin sollten Region und Stadt Hannover nämlich klimaneutral sein.

Bisher allerdings gibt es nach Einschätzung der Klimacamper keine ausreichenden Maßnahmen, die Politik sei den Forderungen der Aktivisten nicht nachgekommen. Die Forderungen: Das Kohlekraftwerk in Hannover solle spätestens 2026 abgeschaltet werden, außerdem solle der Klimaschutz eine höhere "finanzielle Priorität" erhalten. Konkret sollten zehn Prozent des Haushalts der Region in Klimaschutzmaßnahmen fließen. "Wir können nicht anders, als mit unserem Klimacamp jeden Tag Druck auf die Politik auszuüben. Durch ihre Untätigkeit wird unsere Zukunft verspielt", meint der 16 Jahre alte Aktivist Matteo.

Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay sagt: "Ich freue mich darüber, dass sich junge Menschen in Hannover für eine bessere Zukunft engagieren und direkt vor dem Rathaus ein deutliches Zeichen setzen." Klimaschutz sei eine der größten Herausforderungen, erklärte der Grünen-Politiker. Das Klimacamp dürfte ihm erhalten bleiben - die Fridays-for-Future-Sprecherin kündigte an: "Wir haben nicht vor, unsere Zelte abzubrechen."

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