Hannover. Die niedersächsische Landeshauptstadt richtet im Juli temporäre Fußgängerzonen ein. Die mehrspurige Hochstraße hinter dem Hauptbahnhof wird zu einem Labor des Festivals Theaterformen. Auch andere Städte im Norden erproben neue Konzepte.

Wie könnte die City der Zukunft aussehen? Das soll in den kommenden Wochen in der niedersächsischen Landeshauptstadt erprobt werden. Mehrere Straßen werden für den Autoverkehr gesperrt - stattdessen gibt es Kultur, Natur, Sport und Dialoge - etwa über die klimagerechte Stadt der Zukunft. "Wir wollen gemeinsam ausprobieren, wie der gemeinsame öffentliche Raum anders genutzt werden kann", sagte Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay der Deutschen Presse-Agentur. Ziel sei es, die Aufenthaltsqualität attraktiver zu machen und mehr Menschen in die City zu locken. Die Vision einer autofreien Innenstadt war auch ein zentrales Thema im Wahlkampf des Grünen-Politikers um das Amt des Oberbürgermeisters.

Von Montag an bis zum 1. August werden die Schmiedestraße zwischen Altstadt und City, der Platz an der Marktkirche sowie der Köbelinger Markt zu einem Kreativraum umgestaltet. Unter anderem gibt es ein Pop-up-Jugendzentrum, eine Skate-Anlage und Beachtennis. Zuerst lädt die Verwaltung zum Dialog ein, ab dem 12. Juli können Interessierte den "Experimentierraum" mit eigenen Angeboten nutzen. "Die Experimentierräume brauchen wir, damit sich die Menschen ein Bild machen können. Auf dem Reißbrett lässt sich die City der Zukunft nicht planen", betonte Onay.

Zudem wird die Raschplatzhochstraße hinter dem Hauptbahnhof für drei Wochen für ein Stadtlabor des Festivals Theaterformen gesperrt. Dort staute sich bereits am ersten Tag der Berufsverkehr. Der ADAC kritisierte, dass die Sperrung zu spät kommuniziert worden sei und forderte ein Verkehrslenkungskonzept für die gesamte Innenstadt.

Auch andere Städte im Norden haben Initiativen gestartet, um die City zu beleben und attraktiver zu machen. In Lüneburg etwa ist der individuelle Autoverkehr aus der historischen Altstadt fast ganz verbannt. Mit Anreizen wie Gutscheinen zum Einkaufen sollen noch mehr Menschen aufs Rad umsteigen. Zum ersten verkaufsoffenen Sonntag (4. Juli) gibt es für Radler einen Treuebonus von zehn Euro, der bei Händlern eingelöst werden kann. Zudem wurden immer mehr Stellplätze für Fahrräder eingerichtet. Lüneburg versucht aber den Verkehrsmix hinzubekommen, so dass ältere Menschen und Behinderte einbezogen werden. "Man darf nicht alles durch die Fahrradbrille sehen", sagt Pressesprecherin Suzanne Moenck.

In Bremen hat sich die rot-grün-rote Koalition schon 2019 das Ziel einer autofreien Innenstadt bis 2030 auf die Fahne geschrieben. Das soll mit besseren Mobilitätsangeboten flankiert werden. Inzwischen wurden Fahrradstraßen rot asphaltiert und die bundesweit erste Fahrradzone in der Neustadt eröffnet. Im ÖPNV sollen Straßenbahnlinien verlängert werden.

Die Bremer durften bis Ende April unter dem Motto "Der Verkehr in Bremen 2030" auf einem Online-Portal der Mobilitätssenatorin abstimmen, welche von über 40 Maßnahmen sie am wichtigsten finden. Ein erstes Stimmungsbild von 7700 Teilnehmern ergab, dass unter anderem mehr Fahrradstellplätze in der Innenstadt gewünscht werden und attraktive Fußwege. Gegenwind erhält das Ziel einer autofreien Innenstadt von der Wirtschaft. "Eine solche Verkehrspolitik scheint kaum vereinbar mit dem viel bedeutenderen Ziel eines attraktiven, lebendigen und gut erreichbaren Oberzentrums zu sein", heißt in einem Papier der Handelskammer.

In Oldenburg sind weite Teil der Innenstadt durch die Fußgängerzone bereits autofrei. Die Stadt will aber die Erreichbarkeit für alle Verkehrsteilnehmer sicherstellen. "Gutes Angebot beim ÖPNV ist dafür wichtig, gute Radwege, aber eben auch Parkhäuser vorhalten", skizzierte Stadtsprecher Reinhard Schenke den Ansatz. Oldenburg lebe auch von Besuchern aus dem Umland, die sollten weiter mit dem Auto kommen können. Gleichzeitig seien Busverbindungen aus dem Umland verbessert worden. "Der innerstädtische Verkehr steht vor starken Veränderungen, wir wollen Verkehrsmittel aber nicht gegeneinander ausspielen und suchen nach guten Kompromissen", betonte Schenke.

Auch Emden versucht verstärkt, den Radverkehr und den öffentlichen Nahverkehr voranzubringen. Busse dürfen dort an allen Wochenenden von Juli bis Dezember kostenfrei genutzt werden, um den Verkehr in der Innenstadt zu minimieren. "Jeder will mit dem Auto in die Stadt fahren und da gut parken können, gleichzeitig aber im Café sitzen, ohne von Abgasen und Autolärm beeinträchtigt zu werden", sagte Stadtsprecher Eduard Dinkela. Um diesen Zwiespalt zu lösen, entwickelt Emden unter anderem ein neues Parkraumkonzept. Außerdem sind Velorouten in der City geplant. Auch eine mobile Fahrrad-Waschanlage soll an Markttagen auf dem Wochenmarkt dafür sorgen, dass die Einwohner das Auto stehenlassen. "Generell fahren die Menschen in Emden aber viel Rad", betonte Dinkela.

In Göttingen gibt es Überlegungen, Durchfahrtsbeschränkungen für den Kfz-Verkehr in der Innenstadt durch bauliche Maßnahmen etwa durch Poller besser zu regulieren. Konkrete Rückbaupläne gibt es derzeit noch nicht. Es sei allerdings vorgesehen, in den nächsten Jahren Hauptverkehrsstraßen umzubauen, wie die Stadt mitteilte. Die Zielsetzung sei: den Umweltverbund stärken, die Verkehrssicherheit erhöhen und die Aufenthaltsqualität verbessern.

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