Göttingen. Als “widerlich“ und “erschütternd“ bezeichnet der Richter das, was ein Missbrauchs-Prozess in Göttingen zutage bringt. Am Ende stehen eine Haftstrafe und eine “bittere Erkenntnis“.

Im Göttinger Missbrauchs-Prozess gegen einen Bekannten eines Lügde-Täters ist der Angeklagte zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Der 50-Jährige sei unter anderem des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig, sagte der Richter am Mittwoch im Landgericht Göttingen. Betroffen von den Übergriffen des Mannes waren laut Gericht mindestens vier Mädchen. Der Mann wurde aber auch von zahlreichen Vorwürfen freigesprochen. (Az.: 9 KLs 11/20)

In seiner Urteilsbegründung benutzte der Richter immer wieder Begriffe wie "widerlich" und "erschütternd". Mehrmals habe es Grenzüberschreitungen gegeben, die nicht tolerabel seien. Auch die Schilderungen im Verfahren bezeichnete der Richter als "nur schwer auszuhalten". Insgesamt wurde der Angeklagte für 8 von ursprünglich 28 angeklagten Taten verurteilt. Zu dem schweren sexuellen Missbrauch kamen sogenannter einfacher sexueller Missbrauch, sexuelle Belästigung und die Herstellung pornographischer Schriften.

Fahnder hatten den 50-jährigen Schweizer im Zuge der Ermittlungen zu den Missbrauchsfällen auf einem Campingplatz in Lügde (Nordrhein-Westfalen) festgenommen. Als Zeuge sagte der wegen hundertfachen schweren sexuellen Missbrauchs im Jahr 2019 verurteilte Haupttäter im Missbrauchskomplex Lügde aus. Mit seinen früheren Angaben soll er wesentlich zur Aufnahme von Ermittlungen in Südniedersachsen beigetragen haben.

Nach Überzeugung des Gerichts beging der Angeklagte die Verbrechen, die zur Verurteilung führten, innerhalb weniger Monate in einer kleinen Ortschaft im südniedersächsischen Kreis Northeim. Einige Vorwürfe habe der Angeklagte im Verfahren gestanden. "Wir sind aber fest davon überzeugt, dass es mehr gegeben hat", sagte der Richter. Er bezeichnete dies als "bittere Erkenntnis" nach dem mehr als neunmonatigen Verfahren. Der Göttinger Angeklagte und der Lügde-Täter kannten sich laut Gericht zumindest flüchtig.

Zu den Freisprüchen betonte der Richter, dass es sich jeweils um Mangel an Beweisen und nicht um erwiesene Unschuld handele. Mehrmals kritisierte der Richter suggestive Befragungen während der Ermittlungen. Einige der Opfer seien dafür anfällig gewesen. Der Prozess fand seit September 2020 zum Schutz der Opfer unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. 34 Zeuginnen und Zeugen sowie 3 Sachverständige wurden gehört.

"Das Urteil hat zwei Seiten", sagte ein Opferanwalt. Gemessen an der Zahl der verurteilten Taten sei es ein sehr hohes Strafmaß. Auf der anderen Seite sei ein großes Problem deutlich geworden, wenn Kinder ganz offensichtlich lang, oft und im schlimmsten Fall von mehren Personen missbraucht würden. Wenn diese Kinder eines Tages in der Verhandlung nicht mehr in der Lage seien, sich konkret zu erinnern und keine konstanten Angaben zu machen, komme das wie in diesem Fall dem Angeklagten zugute.

Die Nebenklägerinnen waren zum Prozessauftakt zwischen 9 und 16 Jahren alt. Zum Tatzeitpunkt waren die Mädchen zwischen 6 und 13 Jahren alt gewesen. Gegen das Urteil ist noch Revision möglich.

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