Hannover. Viele Schüler haben im Jahr 2021 noch keinen Klassenraum von innen gesehen. Das soll sich bald ändern. Indem der Corona-Grenzwert für den Wechselunterricht angehoben wird, dürfen in vielen Regionen Niedersachsens die Schulen wieder öffnen - zumindest zum Teil.

Vom 10. Mai sollen wieder deutlich mehr Schüler in Niedersachsen zum Unterricht in die Klassenräume kommen. Das Land verabschiedet sich von seinem strikten Corona-Kurs an den Schulen und verschiebt die regionale Inzidenz-Grenze für den Distanzunterricht von 100 auf 165. Unterhalb dieses Werts greift künftig das Wechselmodell mit geteilten Klassen. Die Kindertagesstätten wechseln dann in den eingeschränkten Regelbetrieb, wie Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) am Dienstag in Hannover bekanntgab.

"Wir können jetzt endlich wieder allen Kindern und Jugendlichen ein Angebot auf Bildung und Betreuung machen", sagte der Minister. Die Öffnung sei auch notwendig, weil sich die Kontaktbeschränkungen negativ auf die Entwicklung der Jugendlichen auswirkten.

Gleichzeitig seien die Lockerungen an Sicherheitsmaßnahmen wie die verpflichtenden Selbsttests geknüpft, sagte Tonne. Auch die übrigen Hygienemaßnahmen, etwa das Lüften, Masketragen und Abstandhalten, sollen weiter gelten. Dann sei ein sicherer Schulbesuch möglich. "Wir haben keine Massenausbrüche in Schulen."

Eine vollständige Rückkehr in den Präsenzunterricht stellte Tonne jedoch noch nicht in Aussicht - auch nicht für Regionen mit besonders niedrigen Inzidenzwerten. Dafür sei bis auf Weiteres der landesweite Inzidenzwert entscheidend, der aktuell knapp unter 100 liegt.

Niedersachsen setzt mit der Änderung die erweiterten Möglichkeiten für den Schulunterricht um, die der Bund im Rahmen der sogenannten Notbremse festgelegt hat. Derzeit liegen nach den Daten des Robert Koch-Instituts nur der Landkreis Vechta sowie die Städte Salzgitter und Delmenhorst über 165 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche. Der Landkreis Grafschaft Bentheim liegt mit 164,0 minimal darunter. Die bisher entscheidende 100er-Marke übertreffen dagegen insgesamt 16 Regionen, darunter etwa die Region Hannover.

Viele Schüler in Niedersachsen befinden sich inzwischen seit knapp fünf Monaten im reinen Distanzunterricht und haben ihre Schule seit Mitte Dezember nicht mehr besucht. Beim Wechselunterricht, dem sogenannten Szenario B, wird immerhin eine Hälfte der Schüler in der Schule unterrichtet, während die andere Hälfte zu Hause lernt. Die beiden Gruppen wechseln sich mit dem Präsenzunterricht ab.

Die Bildungsgewerkschaft GEW erklärte zu der geplanten Öffnung, der Unterricht könne nach der langen Pause nicht einfach weitergehen als sei nichts gewesen. "Die Schülerinnen und Schüler, die schwere Zeiten hinter sich haben, benötigen nun dringend intensive pädagogische und psychologische Unterstützung", sagte Landeschefin Laura Pooth. Auch viele Schulbeschäftigte seien zermürbt.

Minister Tonne mahnte ebenfalls eine Übergangsphase an und rief dazu auf, die Schüler nach ihrer Rückkehr nicht sofort mit Tests und Klausuren zu überhäufen. "Die Schule soll nicht mit Druck starten", sagte er. Der seit Pandemiebeginn verpasste Stoff könne auch in den nächsten Schuljahren noch aufgeholt werden.

Der Landeselternrat kritisierte indes die Anhebung des Grenzwerts auf 165 als unverantwortlich. Die Fallzahlen bei Kindern und Jugendlichen hätten sich zuletzt dramatisch erhöht, zudem gebe es für die Schüler bisher kaum Aussicht auf Impfungen. Auch der Lehrerverband VNL/VDR bezeichnete die Öffnung als "große Gefahr" für Lehrer und Schüler.

© dpa-infocom, dpa:210504-99-461441/3