Hannover/Hildesheim. Auch in diesem Jahr kämpfen Wirtschaft und Gesellschaft am Tag der Arbeit weiter mit der Pandemie. Gewerkschafter fordern aber, schon jetzt auch an die Zeit danach zu denken.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hat zum Tag der Arbeit für Solidarität in der Corona-Pandemie geworben. "Wir erleben unverändert, dass viele Unternehmen Tarifflucht begehen", sagte der SPD-Politiker am Samstag in Hildesheim. "Die Zahl der tarifgebundenen Unternehmen und die Zahl der tarifgebundenen Beschäftigten geht auch bei uns in Niedersachsen zurück. Nicht so stark wie bundesweit, aber viel zu sehr, als das wir uns damit zufriedenstellen könnten." Weil forderte eine Stärkung der Tarifautonomie und die Erhöhung des Mindestlohns.

Die Gewerkschaften in Niedersachsen und Bremen appellierten an Politik und Wirtschaft, bei den Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Wohnungsbau und Arbeitsmarkt gerade unter dem finanziellen Druck der Krise nicht nachzulassen. Mehr als 35 Kundgebungen des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) fanden in Niedersachsen statt, manche davon online. Die meisten Menschen zog es in Hannover bei zehn angemeldeten Demonstrationen auf die Straße. Einige Versammlungen dauerten laut Polizei bis in den frühen Abend, Verstöße gegen die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen habe es aber kaum gegeben. Auch in Bremen demonstrierten mehr als 1000 Menschen zum Tag der Arbeit.

DGB-Bezirkschef Mehrdad Payandeh wies auf die wachsende Gefahr ungleicher Ausbildungschancen bei anhaltendem Fachkräftemangel hin. Der Gesundheitsschutz in den Betrieben müsse außerdem auch nach der Pandemie ein zentrales Ziel bleiben, betonte er am Samstag in Göttingen. Außerdem würden hohe Mieten für Menschen mit Einkommenseinbußen zu einem immer größeren Problem.

DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel forderte in Hannover, aus der Krise zu lernen. "Wir brauchen für die soziale Sicherheit eine neue, umfassende Solidarität - mit einer Verteilung der Lasten auf mehr Schultern. Die Reichen und Superreichen müssen stärker in Verantwortung." Das gelte auch für die Verteilung der Krisenkosten. "Wir werden nicht zulassen, dass am Ende hauptsächlich die Beschäftigten zu Kasse gebeten werden."

Die IG Metall warnte davor, die Folgen der Krise im zweiten Corona-Jahr trotz Milliarden an zusätzlicher Kreditaufnahme als Grund für mögliche neue Sparrunden zu sehen. "Keine Frage, die öffentlichen Kassen sind belastet", sagte Landeschef Thorsten Gröger laut einer Mitteilung. "Doch wir dürfen Folgegenerationen keinen Trümmerhaufen übergeben." Gute Zukunftschancen bedeuteten auch jenseits der Pandemie etwa einen Abbau des Investitionsstaus im Bildungswesen - die "Sanierungswarteschlange" müsse ein Ende haben.

Aktuell seien neben Schülern auch Auszubildende, Studierende und Berufseinsteiger hart getroffen. Die bisherigen staatlichen Hilfen reichten hier nicht aus: "Wir müssen dafür Sorge tragen, dass junge Menschen nicht durch die Unterstützungsraster fallen, sondern ihnen bedarfsgerecht unter die Arme greifen." Der Trend zum Homeoffice sei wegen der Infektionsrisiken insgesamt zu begrüßen, sagte Gröger. Man müsse allerdings ein Auge auf die drohende Entgrenzung zwischen Job und Freizeit haben. "Es braucht klare Trennlinien. (...) Dazu muss es auch ein Recht auf Nichterreichbarkeit geben und eine Ausweitung von Arbeitszeiten strikt verhindert werden."

© dpa-infocom, dpa:210501-99-427599/4