Karben/Hannover. Der weltweite Sparkurs bei Continental trifft auch deutsche Standorte hart. In Hessen ist der Unmut in der Belegschaft wegen der Schließung des Werks Karben groß. Andere Fabriken bekommen eine Art Gnadenfrist.

Gegen die Pläne des Autozulieferers Continental zur Schließung des Werkes im hessischen Karben regt sich weiter Protest. "Heute trommeln wir für den Standort", sagte IG-Metall-Vertreter Michael Erhardt am Freitag. Die Gewerkschaft hatte die Beschäftigten aufgerufen, die Arbeitgebervertreter mit einem Schweigespalier zur Aufsichtsratssitzung der Continental Automotive GmbH zu begleiten. Erhardt, der auch Mitglied des Gremiums ist, sprach von einer "klasse Beteiligung" an der Aktion: "Der Standort hat es wirklich verdient, weiter zu existieren."

Angesichts der Rückschläge für die Autoindustrie in der Corona-Krise verschärft Continental seinen Sparkurs deutlich. Der Elektronik-Produktion in Karben mit knapp 1100 Beschäftigten droht das Aus. Die Arbeitnehmervertreter argumentieren, die Einmalkosten seien bei einer Schließung deutlich höher, als der Dax-Konzern mit Hauptsitz in Hannover annehme. Insgesamt sieht Conti zudem künftig weiteres Potenzial in Elektronik-Komponenten - es geht dabei aber immer um die spezifische Anwendung. Generell soll das Geschäft mit Sensorik, Elektronik und Software ausgebaut werden.

"Dass unsere Mitarbeiter diese Gelegenheit nutzen, um ihrer Enttäuschung über die Maßnahmen in Karben Ausdruck zu verleihen, können wir voll und ganz nachvollziehen", teilte ein Sprecher des Unternehmens mit. "So hart diese Entscheidung auch ist: Der Rückzug aus der Produktion am Standort ist aus unserer Sicht unumgänglich, um die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit von Continental zu sichern. Um diesen Schritt so sozialverträglich wie möglich zu gestalten, stehen wir in Gesprächen mit der Arbeitnehmervertretung."

Für das Continental-Werk im südhessischen Babenhausen war Anfang dieser Woche eine Gnadenfrist vereinbart worden. Nach starken Protesten gegen die ursprünglich zum Jahresende 2025 geplante Schließung einigten sich der Dax-Konzern und die IG Metall auf Eckpunkte eines Sozialtarifvertrags. Demnach soll die Produktion nun erst zum Jahresende 2028 auslaufen. Zum ursprünglich geplanten Zeitpunkt sollen in dem Werk noch etwa 430 Arbeitsplätze existieren. Karben produziert vor allem Vorprodukte für das Werk in Babenhausen.

Bis 2029 will der Conti-Konzern weltweit 30 000 Stellen "verändern", wozu auch Abbau und Verlagerungen gehören. Neben den Betriebsräten kritisierten auch mehrere Politiker die Art der Umsetzung heftig, sie fühlten sich - etwa im Fall des Werks Aachen - nicht genügend beteiligt. Der neue Vorstandschef Nikolai Setzer machte klar, dass es unter ihm Investitionen vor allem in zukunftsträchtigere Felder geben wird: "Die Software macht den Unterschied."

Seine Antriebssparte lagerte Continental in das Unternehmen Vitesco aus. Nachdem dessen Börsengang wegen der ungünstigen Marktlage 2020 zunächst verschoben worden war, will der Konzern ihn nun in der zweiten Jahreshälfte 2021 nachholen. "Wir waren wirklich gut unterwegs, dann kam Corona", sagte Conti-Vorstand und Vitesco-Chef Andreas Wolf der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Samstag). "Jetzt streben wir eine Abspaltung im zweiten Halbjahr an, vorausgesetzt die Continental-Hauptversammlung stimmt Ende April zu."

Seit der rechtlichen Ausgliederung hat sich das Unternehmen mit Sitz in Regensburg vom Mutterkonzern aus Hannover abgenabelt. Derzeit erzielt Vitesco mehr als 90 Prozent seines Umsatzes von zuletzt 7,8 Milliarden Euro noch rund um den Verbrennungsmotor. Das Geschäft mit elektrischen Achsantrieben sowie 48-Volt- und Hochvolttechnologie sei derzeit noch defizitär, sagte Wolf. Dies solle sich bald ändern: "Mit dem Marktwachstum werden die Elektrifizierungs-Komponenten günstiger, der Materialeinsatz niedriger und die Produktion effizienter."

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