Berlin/Brake. Allen Anzeichen nach rollt bald wieder aufgearbeiteter Atommüll durch Niedersachsen. Zwar bremst Hannover, doch Berlin sieht sich zu dem Transport verpflichtet. Kernkraftgegner machen mobil - und die Polizisten, die den Castor bewachen sollen, sind schwer verärgert.

Das Bundesumweltministerium hält derzeit am geplanten Castor-Transport aus Großbritannien über Niedersachsen in das Zwischenlager Biblis fest. Es geht damit auch über Bedenken der Regierung in Hannover hinweg. Sie hat gebeten, den Transport des Atommülls wegen der Corona-Pandemie ein weiteres Mal zu verschieben. Atomkraftgegner bereiten sich auf die Ankunft des Transports vor.

Die Gewerkschaft der Polizei kritisierte das Festhalten an dem Termin scharf. Die zusätzliche Belastung für die Einsatzkräfte sei zum aktuellen Zeitpunkt absolut unnötig, kritisierte der Landesvorsitzender der Gewerkschaft, Dietmar Schilff. "Es ist ein Unding, dass der wirtschaftliche Druck, den Castortransport möglichst schnell durchzuführen, stärker wiegt als die Gesundheit der Polizistinnen und Polizisten." Die Polizei sei aufgrund der zunehmenden Kontrollen und Durchsetzungsmaßnahmen der Corona-Regeln bereits stark ausgelastet. Angesichts der rasant steigenden Infektionszahlen sei der Einsatz "aktuell unverantwortlich", betonte der Gewerkschafter.

Nach Kenntnis des Bundesumweltministeriums beobachteten die zuständigen Innenbehörden die Pandemielage sehr genau und bewerteten diese, sagte ein Sprecher von Ministerin Svenja Schulze (SPD) der Deutschen Presse-Agentur. Sie richteten ihre Maßnahmen am Infektionsgeschehen aus. Die Beteiligten hätten ein gesondertes Hygienekonzept erstellt. "Das Bundesumweltministerium hält den Transport zum jetzigen Zeitpunkt für erforderlich."

Umweltschützer erwarten, dass ein Schiff mit sechs Castor-Behältern aus der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield an der Irischen See im Hafen Nordenham (Kreis Wesermarsch) anlegen wird. Der Transport könnte Anfang November stattfinden. Er hätte eigentlich schon im Frühjahr kommen sollen, war aber wegen Corona verschoben worden.

"Wir beobachten all das, was in und um den Hafen von Nordenham stattfindet", sagte Hans-Otto Meyer-Ott vom Arbeitskreis Wesermarsch am Freitag der dpa. Ebenso werde die Umgebung von Sellafield beobachtet. Ein Schiff aus dem Hafen Barrow-in-Furness umrunde auf dem Weg nach Deutschland üblicherweise die Nordspitze Schottlands. "Dann werden wir den Castor-Alarm auslösen", sagte Meyer-Ott. Von Schottland seien es noch zwei Seetage über die Nordsee bis Nordenham. In der Zeit sollen Atomkraftgegner zu Protesten mobilisiert werden. Am Bahnhof der Stadt ist für die Ankunft am "Tag X" eine Kundgebung geplant.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte zuletzt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gebeten, den Transport erneut zu verschieben. Er machte Sicherheitsbedenken geltend wegen zu erwartender Proteste gegen den Transport. Die Corona-Pandemie erschwere eine Sicherung des Transports, weil ein Hygienekonzept eingehalten werden müsse.

"Der Transport ist zur Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland erforderlich", sagte der Sprecher des Bundesumweltministeriums, das auch für nukleare Sicherheit zuständig ist. Die genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung des Transports seien gegeben. Ein Sprecher Seehofers sagte auf Anfrage der dpa lediglich, das Innenministerium sei dazu "im engen Austausch mit den betroffenen Bundesländern und Bundesministerien."

Nach der Ankunft in Norddeutschland sollen die Behälter mit der Bahn weiter nach Süden bis Biblis transportiert werden. Die genaue Route wird nicht vorher mitgeteilt. Castor heißen die bis zu 125 Tonnen schweren Container, in denen hochradioaktiver Müll befördert wird.