Prozess

90-Jähriger wegen versuchten Mordes vor Gericht

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Jörg Riefenstahl
Werner F. (90) betritt – auf einen Rollator gestützt – den Gerichtssaal.. 

Werner F. (90) betritt – auf einen Rollator gestützt – den Gerichtssaal.. 

Foto: Jörg Riefenstahl

Der Rentner soll mehrfach versucht haben, seine Ehefrau zu töten. Zum Prozessauftakt erklärte sich der Angeklagte unter Tränen.

Lüneburg/Drage. 60 Jahre waren sie verheiratet – dann geschah das Unfassbare: In der Nacht zum 23. Februar packte sich Werner F. (89) aus Drage ein Sofakissen, er schlich damit ins Schlafzimmer und versuchte, seine Frau damit um 5 Uhr früh im Schlaf zu ersticken, so der Tatvorwurf.

Doch Edelgard F. (84) wehrte sich heftig – und überlebte den Angriff. Doch nur wenige Tage später, am 3. März, startete der Mann laut Anklage einen neuen Versuch, seine Frau „heimtückisch zu töten“, wie es heißt.

Mordversuch nach 60 Ehejahren

Diesmal schlug der Täter mit einem einen Kilo schweren Gummihammer zu – von hinten, auf den Kopf der Frau. Edelgard F. überlebte schwer verletzt. Es gelang ihr, ihren Mann zu entwaffnen und zu flüchten.

Der versuchte daraufhin, sich mit einem Skalpell die Adern aufzuschlitzen. Der Selbstmordversuch misslang. Werner F. wurde festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Seit Donnerstag muss er sich am Landgericht Lüneburg wegen zweifachen versuchten Mordes an seiner Ehefrau und gefährlicher Körperverletzung verantworten.

Als Grund für die Angriffe auf seine Frau gab der 90-Jährige in ersten Vernehmungen Streitigkeiten über Zahlungen an Verwandte an.

„Sie waren glücklich. Bis vor anderthalb Jahren.“

Regungslos nimmt Werner F. auf der Anklagebank Platz. Zu den Tatvorwürfen schweigt der Angeklagte. Sein Enkel (26) und seine Schwiegertochter sind unter den Zuhörern. Der Vorsitzende Richter verweist beide des Saales – um Enkel Robert F. als erstes in den Zeugenstand zu zitieren.

„Erzählen Sie mal, wie war denn das Verhältnis ihrer Großeltern?“ fragt ihn der Richter. „Sie waren glücklich. Bis vor anderthalb Jahren. Es ging los mit Vorwürfen meiner Stiefgroßmutter, die behauptete, dass wir Geld von meinem Großvater angenommen hätten, von dem sie nichts wusste.“

Großvater informierte den Enkel

Mal sei es um 20.000, mal um 50.000, mal um 100.000 Euro gegangen. Erst habe sie das Geld zurückgefordert, später nicht mehr. „Es ist kein Geld geflossen, dass nicht vorher mit beiden abgesprochen war“, beteuert der Enkel. Nur einmal, vor ein paar Jahren zu Weihnachten, habe er auf diese Weise 10.000 Euro erhalten.

Wenige Tage nach der Kissen-Attacke auf seine Ehefrau habe ihn sein Großvater kontaktiert. „Meine Eltern waren im Urlaub. Opa bat mich, zu ihm zu kommen. Dort hat er mir die Sache mit dem Kissen erzählt. Er hat gesagt, dass er versucht habe, sie mit dem Kissen zu ersticken.

„Er wollte sich einen Strick nehmen“

Er hat mir auch die Vorgeschichte erzählt. Dass sie jetzt eine getrennte Haushaltskasse haben – und dass sie ihn gereizt habe. Dass sie von ihm Geld haben wollte, für Zeitschriftenkäufe. Ich war sprachlos. Er hat gesagt, er wolle sich einen Strick nehmen.“

Ob er gewusst habe, dass sich ein Tresor in der Wohnung befinde, fragte die Nebenklägerin den jungen Mann. „Mein Vater wollte nochmal in den Tresor schauen, als wir nach der Hammer-Attacke noch einmal in der Wohnung waren, um persönliche Gegenstände für meinen Opa zu holen. Ich wusste, wo der Schlüssel ist, habe aufgeschlossen. Im Tresor lag die letzte Rente.“

,Werner, was machst du denn?’

Auf einen Gehwagen gestützt trat Edelgard F. in den Zeugenstand. Vom Hammer-Angriff trug sie eine tiefe Platzwunde am Kopf und Hämatome davon und befand sich vier Wochen in der Reha. Unter Tränen schilderte sie, wie ihr Mann sie aus dem Schlaf gerissen habe, als er sie um 5 Uhr früh mit dem Kissen attackierte.

„Ich sah das Kissen vor mir. Er lag auf mir, drückte es mir mit Schwung ins Gesicht. Ich wehrte mich mit Händen und Füssen, stieß das Kissen zurück, schrie ,Werner, was machst du denn?’ Ich schrie um Hilfe, entriss ihm das Kissen. Er boxte mir in die Nieren, riss es an sich, versuchte es immer und wieder, vielleicht zehnmal. Ich biss ihm in den Finger, schubste ihn aus dem Bett, nahm ihn in den Schwitzkasten.“

Er habe nichts gesagt. „Dann habe ich ihm gesagt, komm doch in mein Bett. Ich habe ihn gestreichelt. Am nächsten Morgen habe ich ihn gefragt, „Wollen wir nicht zusammen frühstücken, so wie immer? Er hat Kaffee gekocht.“ Sie sei nicht zum Arzt gegangen, habe keine Anzeige erstattet.

Hammer-Attacke am Herd

Weil sie dachte, alles werde wieder gut. Wenige Tage später folgte die Hammer-Attacke. Als sie gerade im Begriff war, in der Küche Kartoffeln aufzusetzen.

Edelgard F. warf ihrem Mann vor, mehrfach heimlich Geld aus dem Tresor genommen und seinem Sohn und Enkel gegeben zu haben. Dabei habe sie die drei beobachtet. Schließlich habe sie das Geld in ein Schließfach gebracht – „damit es nicht an Sohn und Enkel geht.“

Ihre Schwiegertochter sagte aus, dass kein Geld genommen worden sei und wie sehr ihr Schwiegervater unter den Vorwürfen seiner Ehefrau gelitten habe. Der bestritt – teils unter Tränen – in Tötungsabsicht gehandelt zu haben.

Er habe zwar Tötungsgedanken gehegt, seiner Ehefrau mit seinen Taten jedoch lediglich einen Denkzettel verpassen wollen. Ob seine Einlassungen das Gericht überzeugten?

„Ich befürchte, dass er wegen versuchten Mordes verurteilt werden wird“, sagt sein Anwalt. Bei einer Verurteilung drohen Werner F. mindestens drei Jahre Haft. Der Prozess wird am Freitag, 16. August, 9.30 Uhr (Saal 21) fortgesetzt.