Das zu Beginn des neuen Schuljahres in Niedersachsen gestartete Projekt hat zum Ziel, Kinder besser auf ihre Einschulung vorzubereiten.

Scharnebeck. Frau Lichte führt die Kreide über die Wandtafel. Es quietscht ein bisschen, dann stehen sechs Wörter, geschrieben in der akkuraten Druckschrift einer Lehrerin. Deike Lichte ist Grundschullehrerin. Die Jungen und Mädchen im Klassenzimmer aber, sie sind noch keine Schulkinder. "Grundschule", liest Lichte ihnen vor und zeigt auf ein Wort nach dem anderen, "und Kita unter einem Dach". Nils-Christopher, Philip und Linus ganz vorn in der ersten Reihe staunen. Schreiben und lesen: Sieht einfach aus, ist für die drei Fünfjährigen aber ein Buch mit sieben Siegeln.

Knapp ein Jahr noch, dann werden Nils-Christopher, Philip, Linus und all die anderen Kinder in ihrem Alter aus der Samtgemeinde Scharnebeck (Landkreis Lüneburg) jeden Tag hier sitzen, werden Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Bis dahin kommen sie einmal im Monat - um zu lernen, Schulkinder zu werden. So sieht es das Modellprojekt vor, dessen Name nun vorn an der Tafel steht. Mit Beginn des neuen Schuljahres in Niedersachsen ist es gestern in landesweit acht Orten gestartet worden. Scharnebeck ist einer von ihnen.

"Kindertagesstätten und Grundschulen sollen konzeptionell noch stärker zusammenwachsen", sagt Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) und spricht von kindgerechter Bildung "ohne institutionelle Brüche". Dagmar Hilmer, Rektorin der Grundschule Scharnebeck: "Wir wollen die Kinder besser in der Schule ankommen lassen."

Landesweit 95 Standorte hatten sich vor den Sommerferien darum beworben, an dem Modellprojekt teilnehmen zu können. Die Grundschule Scharnebeck kooperiert bereits seit drei Jahren mit vier örtlichen Kindertagesstätten. Sie hat bereits am Vorgängermodell namens Brückenjahr teilgenommen, bei dem Jungen und Mädchen aus dem letzten Kindergartenjahrgang ebenfalls einmal im Monat zu einem Projekttag an die Schule gekommen sind. "Das ist gut gelaufen", sagt Rektorin Hilmer, "aber wir wollen mehr."

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Fortan sollen die Gäste aus dem Kindergarten während ihrer Besuche in der Schule "unterrichtsnah" lernen. Hilmer: "Wir werden an ihrer Sprache arbeiten, wir werden ihren aktiven und passiven Wortschatz erweitern. Sie werden Anweisungen kennenlernen und lernen, sie auszuführen." Weitere Inhalte seien Gruppenarbeit und der Umgang mit Lernmaterial. "Der Vorteil für die Kinder liegt darin, dass sie die Schule schon vor der Einschulung kennen werden und keine Angst mehr davor haben müssen", sagt Dagmar Hilmer. Auch für die Lehrer bringe die Kooperation Vorteile mit sich. Konrektorin Lichte, die die Projektleitung übernommen hat, erklärt: "Wir lernen die Kinder recht gut kennen und wissen, worauf wir uns einstellen müssen."

Rektorin Hilmer spricht auch von "Schulfähigkeit anbahnen". Die Erstklässler seien heute im Schnitt jünger als in der Vergangenheit. Mussten bis 2009 alle Kinder eingeschult werden, die bis 30. Juni desselben Jahres sechsten Geburtstags gefeiert hatten, so gilt in Niedersachsen seit drei Jahren der 30. September als Stichtag. "Die Folge ist, dass wir jetzt oft schon Fünfjährige in den ersten Klassen haben", sagt Hilmer. Angelika Eickholt, Leiterin der gemeindeeigenen Kita in Scharnebeck, findet den Trend zur früheren Einschulung bedauerlich: "Den Kindern kommt viel von ihrem unbeschwerten Leben abhanden", meint sie. Dank der Kooperation mit der Schule seien die Kleinen dennoch gut gerüstet. "Sie werden zur Einschulung jegliche Scheu vor der Schule verloren haben."

Das Land Niedersachsen fördert die Modellstandorte drei Jahre lang mit jeweils bis zu 30 000 Euro pro Jahr. Das Projekt soll wissenschaftlich ausgewertet werden.