Rostock/Berlin (dpa/mv). Am Freitag soll in Berlin über eine Wahlrechtsreform abgestimmt werden. Die ist auch in der Wissenschaft umstritten. In MV könnte sie sich auf Kandidaten in Vorpommern auswirken.

Der Rostocker Politikwissenschaftler Jan Müller hat die von der Berliner Ampelkoalition geplante Wahlrechtsreform kritisiert. „Ich bin immer noch nicht überzeugt, warum es diese Reform braucht“, sagte Müller der Deutschen Presse-Agentur. „Die Argumente Größe und Kosten, sind für mich nicht nachvollziehbar. Demokratie sollte uns nicht zu teuer sein.“

Nach Plänen von SPD, Grünen und FDP soll der Bundestag dauerhaft auf 630 Sitze schrumpfen. Eine Abstimmung darüber ist am Freitag im Bundestag geplant. Müller sagte: „Hier wird eher einem populistischen Argument nachgelaufen.“ Letztendlich sei die Größe des Bundestages Ausdruck des Wählerwillens und demokratischer als vor 2013, als es noch keine Ausgleichsmandate gab. Diese Mandate, die den Bundestag vergrößern, soll es künftig nicht mehr geben.

Die vorgesehenen Neuerungen bei Erst- und Zweitstimme würden dazu führen, dass in bestimmten Fällen die Bewerber mit den meisten Stimmen in einem Wahlkreis nicht mehr automatisch als Direktkandidat oder -kandidatin in den Bundestag einzögen. Gestrichen werden soll auch die sogenannte Grundmandatsklausel - sie bewirkt, dass eine Partei auch dann nach ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einzieht, wenn sie zwar die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt, aber mindestens drei Direktmandate gewonnen hat.

„Eine Erhöhung des Anteils nicht repräsentierter Bürger durch den Wegfall von Parteien wäre undemokratischer“, warnte Müller. „Wenn stimmenstärkste Wahlkreiskandidaten nicht in den Bundestag einziehen, ist dies schwer zu vermitteln.“ Auch sehe er den Wahlrechtsgrundsatz gefährdet, wenn sich in Bundesländern unterschiedliche Prozenthürden für Wahlkreissieger ergäben, um in das Parlament einzuziehen.

Sein Rostocker Kollege Wolfgang Muno widersprach: „Eine Reform des Wahlrechts ist dringend nötig.“ Er sprach von einem aufgeblähten Bundestag und unnötiger Komplexität und kritisierte, dass die Pläne mit einfacher Mehrheit „und zudem so polarisiert“ beschlossen werden sollten. Wünschenswert wäre eine breitere Mehrheit.

Philipp Amthor, CDU-Bundestagsabgeordneter aus MV, sagte: „Der Bundestag muss kleiner werden und dafür müssen alle Parteien und Regionen auch Einschnitte akzeptieren.“ Mit der Sicht aus Vorpommern sei die Neuregelung ein strukturelles Problem - vor allem für die SPD. Sollte die Partei in Vorpommern wieder ein Direktmandat gewinnen, ginge von dort wohl keiner nach Berlin. „Weil die SPD-Kollegen aus Mecklenburg traditionell besser abschneiden.“ Offenbar dringe Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) in Berlin nicht mehr durch.

Anna Kassautzki hatte 2021 für die SPD das Direktmandat im ehemaligen Wahlkreis von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geholt, Kassautzkis Parteikollege Erik von Malottki im vorpommerschen Nachbarwahlkreis. Beide säßen trotz gewonnenen Direktmandats nach den neuen Regeln nicht im Bundestag, erklärte Müller. Beide SPD-Politiker hatten die geplante Reform laut Medien in der Vergangenheit kritisiert, wollten sich aber auf Anfrage nicht äußern. Aus beiden Wahlkreisen sind auch andere Abgeordnete über die Landeslisten ihrer Parteien in den Bundestag eingezogen, darunter auch Amthor.

Müller unterstrich, dass aus seiner Sicht direkt gewählte Kandidaten nicht unbedingt besser in einem Wahlkreis verankert seien als Listenkandidaten. Theoretisch sei es zwar möglich, dass eine Region gar nicht durch einen Abgeordneten vertreten sei, je nach Zusammensetzung der Landeslisten der Parteien. In einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern mit vergleichsweise wenigen Abgeordneten, setzten diese sich seinem Eindruck nach aber ohnehin stärker für Regionen jenseits ihrer Wahlkreise ein.