Neubrandenburg. Treppensturz oder massive Gewalt? Im Mordprozess um den Tod einer Sechsjährigen aus Torgelow liegen Staatsanwaltschaft und Verteidigung weit auseinander. Der Ankläger will “lebenslänglich“ wegen Mordes, die Verteidiger sehen keine hinreichenden Beweise.

Im Prozess um den gewaltsamen Tod der sechsjährigen Leonie hat die Staatsanwaltschaft eine lebenslängliche Freiheitsstrafe wegen Mordes, Misshandlung Schutzbefohlener und Körperverletzung mit Todesfolge für den angeklagten Stiefvater gefordert. Der 28-Jährige habe das Mädchen am 12. Januar 2019 schwer misshandelt und keine Hilfe geholt, weil er die Körperverletzung verdecken wollte, erklärte Staatsanwalt Bernd Bethke am Montag am Landgericht Neubrandenburg. Den vom Stiefvater angeführten Treppensturz von Leonie habe es nicht gegeben.

Auch der zweijährige Bruder sei "massiv misshandelt worden." Hintergrund sei Streit in der Partnerschaft mit Leonies Mutter gewesen, die sich von dem Angeklagten hatte trennen wollen. Verteidiger Bernd Raitor wies die Mord-Darstellung zurück. Die Verteidigung halte am geschilderten Treppensturz im Hausflur fest, der letztlich zu den tödlichen Verletzungen geführt habe. Der Prozess basiere vor allem auf Aussagen der Mutter, die aber nicht glaubhaft seien.

Das Schwurgericht müsse nun bewerten, ob die Indizien für eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge ausreichten. Einen konkreten Antrag stelle man nicht. Aber wenn die Indizien nicht reichten, müsse der Angeklagte freigesprochen werden, sagte Raitor. Leonie war am 12. Januar 2019 tot in der Wohnung der Mutter und ihres Lebensgefährten in Torgelow (Vorpommern-Greifswald) gefunden worden. Sie starb nach Einschätzung einer Rechtsmedizinerin an den Folgen einer "massiven Gewalteinwirkung gegen den Kopf" zusammen mit einer Blutarmut sowie Entzündungen an der Lunge und an gebrochenen Rippen. Die schwersten Verletzungen ließen sich nicht mit einem Treppensturz erklären.

Die Familie war erst Mitte 2018 von Wolgast nach Torgelow gezogen, hatte die Kinder in einer Kita angemeldet, aber nach wenigen Tagen nicht mehr dorthin gebracht. Laut Staatsanwaltschaft war der Stiefvater an dem Nachmittag allein mit Leonie und ihrem zweijährigen Bruder zu Hause. Die Mutter hatte angegeben, Einkaufen gegangen zu sein. "Vielleicht wollte Leonie zu ihrer Mutter und dabei ist der Puppenwagen die Treppe hinuntergefallen", sagte der Staatsanwalt. Das Mädchen aber nicht, wie die Spurenlage beweise. Der Stiefvater habe das Kind wieder geschlagen und getreten. Im Kinderzimmer wurde ein abmontierter Metallbügel eines Puppenwagens gefunden, an dem Blutspuren von Leonie gesichert werden konnten.

Das Paar hatte die Rettungskräften am Todestag von Leonie erst abends gerufen, so dass alle Wiederbelebungsversuche scheiterten. Die Anklage umfasst insgesamt sieben Misshandlungsvorwürfe, von denen vier Punkte aus Mangel an Beweisen eingestellt wurden.

Gegen die Mutter, die Mitte 2018 ein gemeinsames Kind mit dem Angeklagten zur Welt gebracht hatte, wird noch separat wegen Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt. Laut Staatsanwaltschaft ist unklar, warum sie die häufigen Verletzungen der Kinder nicht eher bemerkte und Hilfe geholt hatte. Sie selbst hatte angegeben, vom Angeklagten bedroht worden zu sein. Das Urteil soll am 9. Januar am Landgericht verkündet werden.