1100 Besucher bei den deutschen Hallenradsportmeisterschaften in der Sporthalle Kerschensteinerstraße

Harburg. Es ist ein Sport der ernsten Mienen. Aber das versteht sofort jeder. Oder würden Sie lächeln, wenn Sie auf ihrem rollenden Fahrrad mit beiden Füßen aufrecht auf dem Sattel stehen, die Arme waagegerecht in der Luft? Und dann auch noch oben auf dem im Kreis rollenden Rad durch die Luft springen und mit beiden Füßen auf dem Lenker landen. Kunstradfahren ist immer wieder aufs Neue fünf Minuten höchste Konzentration und Anspannung. Und bei jeder der artistischen Darbietungen wurde es in der übervollen Sporthalle an der Kerschensteinerstraße in Harburg mucksmäuschen still. Die sanfte, eindringliche Musik, nach der die Sportler ihre Kür aufgebaut hatten, erhöhte diese fast andächtige Stimmung bei jedem Auftritt.

Der Harburger TB war zwei Tage lang ein guter Gastgeber

Der Harburger Turnerbund (HTB) war zwei Tage lang Gastgeber der deutschen Hallenradsportmeisterschaften 2010. Eines vermeldete Karl-Heinz Knabenreich laut und deutlich: "Mit rund 1100 Besuchern war die Halle ausverkauft. So einen Andrang hat es in der Kerschensteinerstraße das letzte Mal bei der Einweihung 1961 gegeben." Und es war das erste Mal in der 145-jährigen Vereinsgeschichte des HTB, dass er eine deutsche Meisterschaft ausrichtete. Dafür erhielt das Organisationsteam um Karl-Heinz Knabenreich viel Anerkennung und Komplimente.

Es war aber nicht so, dass die Sitzreihen in der Halle, auf der Tribüne und im Verpflegungszelt draußen fest in norddeutscher Hand waren. Da wurde meist Hessisch gebabbelt, oder Badenser Dialekte geschätzt, Franken und Bayern waren auch zu hören. "Die Hochburgen des Kunstradsports und im Radball liegen im Süden", erläuterte Hilmar Hessler, der stellvertretende Generalsekretär des Bundes Deutscher Radfahrer (BdR). "Die Kunstradfahrer stellen rund 40 Prozent unserer rund 120 000 organisierten Mitglieder. Auch wenn die Straßen- und Cross-Fahrer und Mountainbiker in der Öffentlichkeit präsenter sind, bei den Kunstradfahrern sind mehr Kinder und Jugendliche organisiert als im Rennsport."

Und die Stars dieser Szene, die meist aus Dörfern und kleineren Städten kommen, sind international zur Zeit das Maß aller Dinge. Von denen, die mit Weltmeistertitel in Harburg zum Wettstreit um die nationale Krone antraten, war einzig David Schnabel schon ein wenig ein Lokalmatador. Der junge Mann aus Soden war, als der HTB sich um die Ausrichtung bewarb, im Phoenix-Center in Harburg mehrmals aufgetreten. Damals hatte HTB-Präsident Claus Ritter dem sympathischen Athleten Harburg und Hamburg gezeigt. Claus Ritter saß in der Sporthalle, als David Schnabel die Zuschauer fünf Minuten zum Schweigen und dann zum mitreißenden Jubeln brachte. Der Weltmeister hatte sich mit einer Kür, von der auch Experten noch lange schwärmen werden, mit deutlichem Vorsprung den deutschen Meistertitel zurückerobert. Titelverteidiger Simon Puls aus Lieme, im Sommer auch schon Gast in Harburg, wurde nur Vierter.

Auch im Finale im Zweier-Kunstradfahren hatte sich ein stilles Drama abgespielt. Die amtierenden Weltmeister, Ann-Kathrin Egert und Stephan Rauch waren nach ihrer Kür sofort in der Kabine verschwunden. Die beiden hatte drei ihrer schwierigen Elemente in ihrer Kür vergessen.

Dafür wurden die Besucher von den Brüdern Florian und Felix Blümmel aus Langenselbold in ihrem Siegesjubel mitgerissen. Wann hat die altehrwürdige Sporthalle in Harburg das letzte Mal zwei Sieger so lachen und weinen, jubeln und tanzen sehen? "Das weiße Trikot mit den schwarz-rot-goldenen Streifen hat uns gefehlt", brachte der 25-jährige Florian nur mit Mühe heraus, während er sich die Tränen aus den Augen wischte. Und dann kamen auch schon Freunde, hoben die beiden auf die Schultern und tanzten mit ihnen über das Parkett. Auch Claus Ritter, der HTB-Präsident, klatschte. "Diese Meisterschaften", sagte er, "sind ein tolles Erlebnis. Das macht wirklich Freude."

Florian und Felix Blümmel entthronen die Weltmeister

Nach den neuen deutschen Meistern im Zweier-Kunstradfahren war es zum Abschluss noch einmal Corinna Hein aus Mörfelden, die die Zuschauer in ihrem Freudentanz mitriss. Die amtierende Weltmeisterin hatte eine spektakuläre Show bieten müssen, um ihren Titel gegen Marion Kleinschwärzer aus Wacker-Burghausen verteidigen zu können. Die hat sich in Harburg von ihren Kunstradfreunden verabschiedet. "Ich gehe für zehn Monate an eine Dorfschule nach Sansibar", sagte sie.