Der deutsche Meister Niklas Huschenbeth aus Hamburg kämpft gegen 30 Herausforderer im Simultanschach

Lüneburg. Aber bitte, nicht räuspern. Und wenn, dann nur ganz leise. Der Kampfsport, der in einem großen, weißen Raum der JWK, der Berufsschule für Pflegeberufe in Lüneburg, ausgetragen wird, findet in respekteinflößender Stille statt. Die Tische in den Raum haben die Gastgeber vom Schachclub Turm Lüneburg zu einem große Karree zusammen gerückt. Davor, kleine Mädchen und Jungen, Heranwachsende und Männer aller Jahrgänger, jeder grübelnd über sein Schachbrett gebeugt. Mitten drin steht, wie in einem Käfig, ein junger Mann in Jeans und gestreiftem Hemd über der Hose, hält meist die Finger der linken Hand in Denkerpose unter das Kinn. Die Finger seiner rechten Hand spielen um einen Bauern, zucken wie vor einem Feuerweg, wandern hin zu einem Springer. Dann, blitzschnell ein Zug, noch einmal Augenkontakt zu dem alten Herren am Brett, dann zwei Schritte weiter und das gleiche Mienenspiel vor dem Brett eines Kindes.

Einer allein gegen Lüneburg, so könnte man diesen speziellen Schachabend betiteln. Unter den Kennern und Anhängern dieses königlichen Spiels heißt das sachlich: "Simultan-Schach."

Der Star des Abends heißt Niklas Huschenbeth. Er ist 18 Jahre alt und als deutscher Schachmeister nach Lüneburg gekommen. Der Titel vor allem ist die Herausforderung für die 30 Spieler an den Tischen. Jeder will nur eins: Einmal den deutschen Meister Schach matt setzten, zumindest zur Aufgabe zwingen. Ein Remis gegen diesen jugendlichen deutschen Meister wird ja auch schon das Ansehen in der Lüneburger Schach-Szene erhöhen.

Typisch für die Szene ist allein schon, wie Karol Lall, seit anderthalb Jahren Vorsitzender vom Schachclub Turm, das größte Talent des Hamburger Schach-Clubs nach Lüneburg lockte. "Als Lehrer habe ich Niklas bei einem Schulprojekt in Hamburg kennen gelernt", erzählt der schachbegeisterte Pädagoge von der Anne-Frank-Schule in Lüneburg. "Da war er 16 Jahre alt, bereits deutscher Meister der U14 und seit vier Jahren Bundesliga-Spieler. Er hat zugesagt, einmal zu einem Simultan-Turnier zu kommen."

Niclas Huschenbeth braucht sehr lange, als er vor dem Brett von Niklas Noah Schmidt steht. Dabei ist der Kleine erst acht Jahre alt und hat erst Anfang des Jahres gelernt, wie man mit Bauer, Läufer und Springer ziehen darf und wie man seinen König vor den Attacken des Gegners schützen muss. "Fußball hat Niklas keinen Spaß gemacht", erzählt die Mama, natürlich draußen im Flur, "auch jeder andere Sport, den er versuchte, hat er schnell aufgegeben. Dann kam er von der Schule und rief, jetzt weiß ich, was mir gefällt."

Der Mann, der den Achtjährigen in die stille Faszination des Schachspiels lockte, saß direkt neben ihm und kämpfe ebenfalls gegen den Meister. Karol Lalla leitet an der Anne-Frank-Schule eine Schach AG, allerdings für Mädchen. Die für Jungen wird von Ewald Bohrs und Horst Knappek, zwei Senioren aus dem Klub, betreut.

Wie Niklas lassen sich immer mehr Kinder von diesem uralten Brettspiel faszinieren. "Wir wissen heute, das gerade Kinder bis etwa 14 Jahre bei diesem Spiel eine Brillanz entwickeln", betont der Pädagoge, "die kein Erwachsener später mehr erreichen kann. Die tollste Erfahrung beim Schach mit Kindern ist, dass auch unruhige, hyperaktive Kinder dabei viel ruhiger werden. Dass sich auch die Konzentrationsfähigkeit der Mädchen und Jungen enorm steigert, ist an unserer Schule längst Alltagserfahrung."

Unter den 460 Kindern der Anne-Frank-Schule, so behauptet Karol Lalla, verstehen etwa die Hälfte, wie sie im Schach die Figuren bewegen müssen. Auch viele Jungen und Mädchen mit Migrationshintergrund sind begeistert dabei, weil häufig ihre Väter mit ihnen spielen. Die Resultate mit Schach an den Schulen sind so erfreulich, dass in Lüneburg künftig auch in Kindergärten damit begonnen werden soll.

Der erste der 30 Kämpfer gegen den nationalen Meister, der so stürmisch aufspringt, dass er seinen Stuhl fast umreißt, ist Ewald Oster. Sein Nebenmann reicht ihm die Hand. Beide lachen still. Ewald Oster, 2. Vorsitzender "aber nur Hobbyspieler", wie er sagt, hat als Erster einen Sieg davon getragen. In nur 20 Zügen hat er den Bundesligaspieler und Internationalen Meister aus Hamburg zur Aufgabe gezwungen. Ganz souverän gewann auch Klaus Storjohann, der 70 ist. Als dritter Sieger unter 30 Gegnern verließ Roger Dorweiler sein Brett. Zu denen, die dem jugendlichen Star ein Remis abtrotzten, gehörten der 72-jährige Otto Solinski und Hannes Meyner. Der Lüneburger Spitzenspieler ist 29 Jahre alt und deutscher Vizemeister bei den Amateuren. Als neue Lüneburger Schulschachmeisterin hatte Paula Quaisser beim Simultanturnier mitgemacht. Dafür, dass sie früh aufgeben musste, hatte sie einen Trost. Auch der Papa zählte zu den 25 Gegnern, die sich dem Meister beugen mussten.