Es ist vollbracht. Jörg Koenig, ein König der Ultra-Langläufer, ist vom Nordkap zurückgekehrt in seinen normalen Alltag in Stade. Am 19. April war der Mann, der am 4. September 60 Jahre alt wird, im italienischen Bari losgerannt - mit 67 der mutigsten, zähesten und auch selbstbewusstesten Dauerläufer aus der ganzen Welt.

Nach 64 Tagen und haargenau 4454,4 Kilometer einmal zu Fuß durch Europa, überschritt er die Ziellinie am Nordkap - mit 42 anderen, die ebenfalls durchgehalten hatten.

Das Hamburger Abendblatt befragte Jörg König über die gewaltigste Herausforderung seines Läufererlebens.

Hamburger Abendblatt:

Seit Sie vor zwei Jahren beschlossen, an dem Transeuropa-Lauf teilzunehmen, hatten sie keinen Schluck Bier mehr getrunken. Wann haben Sie sich das erste Glas genehmigt?

Jörg Koenig:

Gleich oben in dem kleinen Touristik-Centrum am Nordkap habe ich mir eine Flasche gekauft. Das hatte ich mir schließlich zwei Jahre lang vorgenommen. Aber ehrlich gesagt, geschmeckt hat das erste Bier nicht und die kleine Flasche hat auch noch sechs Euro gekostet.

HA:

Nach 64 Tagen Dauerlauf ohne einen einzigen Tag Pause, was denkt und fühlt man im Ziel bei den letzten Schritten?

Koenig:

An der großen Weltkugel am Nordkap markierten zwei aufgestellte rote Hütchen die Ziellinie. Zwei Meter dahinter war der Zaun. Von dem aus schaut man wohl 100 Meter und mehr herunter auf das Meer. Ich habe mich auf diesen Zaun gelegt und dann habe ich geweint. Einfach nur geweint.

HA:

Aus Freude und Stolz?

Koenig:

Ich weiß es nicht. Große Gefühle hatte ich nicht. In mir hat sich alles gelöst. Ich war nur froh, dass es vorbei war.

HA:

Und kein Stolz, weil Sie diese ungeheuerliche Herausforderung gemeistert haben?

Koenig:

Der Stolz kam erst am anderen Tag, als ich mit dem Flugzeug über die unendlich weiten Wälder und Seen Norwegens und Schwedens zurückgeflogen bin. Das hat du alles zu Fuß geschafft, Schritt für Schritt. Da war ich schon stolz auf mich.

HA:

Haben Sie denn während der 64 Tage nie auf eine Landkarte geschaut?

Koenig:

Nein. Das könnte einen doch mutlos machen. So etwas steht man nur durch, wenn man sich immer nur auf den nächsten Schritt konzentriert. Im Grunde habe ich nie weitergedacht, als bis zur nächsten Verpflegungsstelle. Die waren alle acht bis zehn Kilometer aufgebaut.

HA:

In der offiziellen Liste der Angekommenen ist Ihr Name nicht zu finden. Warum nicht?

Koenig:

Es war am Sonntag, dem 14. Juni bei einer nur 53 Kilometer langen Etappe in Schweden. Da ist mir nach 20 Kilometern schummrig und Übel geworden. Ich hatte eine Kreislaufattacke. Der Sanitäter hat mich ins Ziel gebracht. Sie haben mich dann ins Krankenhaus nach Kiruna gefahren, dass 170 Kilometer entfernt ist. Am Ende haben die Ärzte gesagt: "Alles ist O.k. bei Ihnen."

HA:

Aber warum wurde denn Ihr Name aus der Liste der Angekommenen getilgt?

Koenig:

Na, weil ich die 57. Etappe nicht zu Ende gelaufen bin. Mir fehlen diese 33 Kilometer, deshalb bin ich auch nicht als "Finisher" ausgezeichnet worden.

HA:

Ist das nicht eine brutale Entscheidung?

Koenig:

So sind die Bestimmungen. Natürlich bin ich traurig darüber.

HA:

Ihr seid die Könige des Langlaufs- weltweit. Fühlen Sie sich als Spitzensportler nicht um die Anerkennung betrogen?

Koenig:

Doch, schon. Aber wir haben uns alle damit abgefunden. Unsere Leistung wird nicht akzeptiert. Wenn einer einen Marathon durchsteht, klopfen ihm viele auf die Schulter. Wir sind ja 1006 Marathons sozusagen an einem Stück gelaufen - aber das interessiert kein Mensch.

HA:

Glauben Sie, dieser Lauf wird einen Nachhall in ihrem Leben haben?

Koenig:

Für diese Feststellung ist es noch zu früh. Aber ich habe ja alle Gefühle und Emotionen, alle Hochs und Tiefs dabei durchlebt. Ich hatte Angst um mein Leben, als die Probleme mit dem Kreislauf kamen. Ich habe alles durchgestanden. Was soll mich jetzt noch erschüttern.