Folgen des Klimawandels

Deichverband: „Jahrhundertflut wie 2013 jederzeit möglich“

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Bei einer Deichverteidigungsübung ging es auch um die Frage, wie viele Sandsäcke auf eine Palette gehören.

Bei einer Deichverteidigungsübung ging es auch um die Frage, wie viele Sandsäcke auf eine Palette gehören.

Foto: Freiwillige Feuerwehr Hohnstorf/Sebastian Behme / HA

Deichverband im Landkreis Lüneburg wappnet sich gegen mögliche Flutszenarien. Auch im Kreis Stade ist der Deichbau ein Dauerthema.

Artlenburg.  Das Wasser kam schnell und unaufhaltsam. Es sind die Tage Anfang Juni vor zehn Jahren, die eine ganze Region südlich der Elbe im Landkreis Lüneburg in Atem halten – allen voran den Artlenburger Deichverband mit hunderten Einsatzkräften, dazu Tausende Einwohnern und freiwilligen Helfern.

Die Jahrhundertflut 2013 sorgte am 12. Juni mit Rekordpegelständen von 11,93 Meter am Pegel in Bleckede, 9,59 Meter in Hohnstorf und 8,71 Meter in Artlenburg für eine echte Belastungsprobe. Die Deiche hielten den Wassermassen stand. „Doch je länger die Ereignisse zurückliegen, desto mehr scheint bei entscheidenden Stellen die Notwendigkeit verblasst, die Deiche auf den neusten technischen Stand zu bringen, damit sie die durch den Klimawandel hervorgerufenen künftigen verschärften Herausforderungen standhalten“, kritisiert Deichhauptmann Hartmut Burmester.

Die Jahrhundertwasser der vergangenen Zeit wurden alle durch Starkregen ausgelöst

Lediglich auf zehn Kilometern Länge seien seit 2013 an der Elbe in Niedersachsen Deichbauarbeiten erledigt worden. „Eine Bestandserhebung hat deutlich gemacht, dass alleine in unserem Gebiet zwischen Walmsburg und Rönne auf der ganzen Länge von mehr als 75 Kilometern die Deiche höher und breiter werden müssen“, sagt er und fügt an: „Wir als Deichverband haben unsere Hausaufgaben gemacht, aber es gibt noch kein grünes Licht von den zuständigen Genehmigungsbehörden für die notwendigen Maßnahmen.“

Die Sicherheit der Deiche ist in der gesamten Region südlich der Elbe ein Dauerthema. Auch der Stader Landrat Kai Seefried hatte zuletzt mehr Tempo beim Deichbau gefordert – und für den Sommer zu einer Küstenschutzkonferenz nach Stade eingeladen. Auch ein „Generalplan Elbe“, der gemeinsam mit den Nachbarkreisen (auch aus Schleswig-Holstein) und der Freien und Hansestadt Hamburg zu Themen wie Sedimentmanagement, Naturraum- und Küstenschutz erstellt werden soll, steht auf Seefrieds Agenda.

„Auch, wenn die Deichschauen im Landkreis Stade ergeben haben, dass die Deiche an der Unterelbe zurzeit in einem guten und wehrfähigen Zustand sind, werden die Zukunftsaufgaben im Küstenschutz von Land und Bund viel zu langsam angegangen“, sagte Seefried in diesem Zusammenhang.

Küstenschutz habe in Niedersachsen Priorität, sagt der Umweltminister

In diesem Jahr werden in Niedersachsen insgesamt 78,9 Millionen Euro in landeseigene Vorhaben und Küstenschutzprojekte der Hauptdeichverbände investiert. Über den Nachtragshaushalt für 2023 will die rot-grüne Landesregierung die Mittel für den Hochwasser- und Küstenschutz erheblich aufstocken. „Küstenschutz und Klimaschutz haben für uns Priorität – deshalb bin ich dankbar für die Erhöhung der Mittel. Beim Küstenschutz darf man nicht sparen und daher setzen wir unser Versprechen aus dem Koalitionsvertrag tatkräftig um“, hatte Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Bündnis 90/Die Grünen) im April betont.

Für Hartmut Burmester ist das nicht genug. Er könne das mangelnde Tempo bei allem Verständnis für die Komplexität der Sache mit Genehmigungsverfahren und Berücksichtigung des Umweltschutzes nicht nachzuvollziehen, sagt er. „Die Jahrhunderthochwasser an der Elbe von 2002, 2006, 2011 und 2013 waren jeweils die Folge von Starkregen im Oberlauf – und dies kann jederzeit wieder eintreten.“

Dass die Flut nun Italien traf und nicht Artlenburg, sei reiner Zufall gewesen

Dabei verweist er auf die jüngste Flutkatastrophe in Italien. „Hätte sich das für die extremen Regenmengen verantwortliche sogenannte Fünf-B-Tief mehrere Hundert Kilometer weiter östlich in Tschechien im Einzugsbereich der Elbe so abgeregnet, dann hätte es uns mit Hochwasser getroffen“, erklärt er. Und auch die Möglichkeit eines Eishochwassers in der Region durch den Klimaerwärmung gänzlich auszuschließen, sei fahrlässig. „Die Natur ist und bleibt unberechenbar.“ Trotzdem und gerade deshalb müsse die größtmögliche Sicherheit für die hinter den Deichen lebenden Menschen geschaffen werden.

Dazu führte der Artlenburger Deichverband nun auch eine Deichverteidigungsübung mit dem Zug 3 der Freiwilligen Feuerwehr der Mitgliedsgemeinden der Samtgemeinde Scharnebeck durch. ADV-Geschäftsführer Ansgar Dettmer wies die rund 30 Beteiligten zunächst in der Theorie in die Methoden der Deichverteidigung bei Hochwasser ein. Dazu gehörten Themen wie Alarmstufen, Deichstrecken, Deicharten (Schutz-, Haupt- und Hochwasserdeich), Ablauf und Hierarchie vor und nach dem Katastrophenfall sowie die Sandsack-Aufkadung zum Zwecke der Sicherung vor Überströmen, Durchsickern und Böschungsbruch.

Bei der Deichverteidigungsübung ging es auch ums Stapeln von Sandsäcken

„Beim letzten Punkt ging es auch um eine vernünftige und ressourcenschonende Deichverteidigungsökonomie. Sprich, wie viele Sandsäcke passen auf eine Palette mit wie viel Gewicht, denn Material und Helfer sind nicht grenzenlos verfügbar im Ernstfall“, erklärte Ansgar Dettmer.

Er erläuterte zudem mehrere Arten von Quellkaden und die Funktionsweise von hydrostatischem Gegendruck, „damit kleine Wasserquellen keine Sohl- und Böschungsbrüche erzeugen“. Nach kurzer Pause ging es an die praktische Umsetzung von Aufkadung-Szenarien am Deich in Hohnstorf mit den zuvor gefüllten Sandsäcken an den Maschinen und das Verlegen von Deichfließ bei einem simulierten Böschungsschaden unter Wasser.

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