“Jobact Family“ wendet sich an alleinerziehende Mütter, die in den Beruf wollen. Am kommenden Dienstag steht die erste Aufführung an.

Lüneburg. Wenn Gudrun auf der Bühne steht, und die Bühne ist zurzeit noch die Probebühne, dann kann die Mutter manchmal Sachen sagen, die dürfte sie im Alltag niemals sagen. Die Sprache der Vorlage, 2500 Jahre alt, spricht der 43-Jährigen aus dem Herzen. Deshalb macht sie auch mit bei einem Theaterprojekt, für das sie eigentlich gar nicht die Zielgruppe ist.

Das Projekt heißt "Jobact Family", angeboten wird es von dem Bildungsträger Projektfabrik in Zusammenarbeit mit "Jobsozial". Zielgruppe sind alleinerziehende Mütter, die auf der Suche nach Arbeit sind. Die durch die Betreuung der Kinder viele Jahre aus dem Beruf heraus oder vielleicht auch noch nie so richtig drin waren. Die jetzt zurück wollen - oder hinein.

Wie Yvonne. Die 25-Jährige hat zwei Kinder, drei und fünf Jahre alt. Händeringend sucht sie nach einem Ausbildungsplatz in einer Branche, von der jeder denkt, sie müsste sich recken nach Menschen wie Yvonne: Pflege. Yvonne möchte Krankenschwester lernen, doch ein halbes Jahr hat sie schon Bewerbungen geschrieben, umsonst. Oder Petra. Die 49-Jährige hat drei Kinder, zehn, zwölf und 14 Jahre alt. 14 Jahre lang hat die Mutter für die Betreuung des Nachwuchses im Job pausiert, möchte jetzt wieder einsteigen. "Am liebsten im Verkaufsbereich."

Anders Gudrun: Die 43-Jährige hat zwar wie die anderen auch ein Kind, sucht aber nicht nach Arbeit. Die hat sie. Gudrun ist zu dem Projekt gestoßen, weil eine Freundin von ihr dort mitmacht.

Die Truppe, das sind derzeit sechs Frauen. Am kommenden Dienstag werden sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Theaterstück auf der Bühne stehen: Sie spielen die Geschichte der Medea, die Tragödie des griechischen Dichters Euripides über die Frau, die vom Opfer zur Bestie wird, aus Ohnmacht zum Ungeheuer - und ihre Söhne aus Rache an ihrem Ehemann ermordet.

Der 51 Jahre alte Regisseur Martin Kreidt hat aus der Vorlage, entstanden 431 vor Christus, ein Stück für die Alleinerziehenden geschrieben. Sein Ziel: "Menschen, die bislang mit dem Theater nichts zu tun hatten, in die Lage zu versetzen, auf einer Bühne zu stehen und eine Vorstellung zu spielen." Ziel der Zusammenarbeit ist nicht, dass die Frauen nach dem Projekt womöglich Arbeit im Theaterbereich finden oder gar eine Schauspielschule besuchen. Nein: Das Theater soll ihnen nur zeigen, wozu sie imstande sind.

"Es geht hier um eine stellvertretende Leistung auf höchstem Niveau", sagt der Regisseur. "Es geht um Konzentration, Energie und soziale Kompetenz." In einem Bereich, mit dem die Teilnehmerinnen vorher nichts zu tun hatten und nachher nichts zu tun haben werden.

Natürlich gehört zu dem Projekt auch Bewerbungstraining, und an die siebenmonatige Theaterzeit schließt sich ein fünfmonatiges Praktikum an, das die Mitarbeiter des Trägers ebenfalls sozialpädagogisch betreuen. Kern aber ist das Theaterspiel, für das übrigens das Theater Lüneburg mit wirbt - ein Pilotprojekt und laut Träger bundesweit einmalig. "Es schult das Auftreten, die Sprache und die Teamarbeit", sagt Nicole Bartlakowski von der Projektfabrik. "Außerdem stehen die Teilnehmerinnen hier in viel stärkerer Verantwortung im Gegensatz zu anderen Maßnahmen, wo es oft nicht weiter ausschlaggebend ist, ob jemand fehlt." Hier kann im Zweifel eine ganze Szene nicht geprobt werden.

Um mögliche Hindernisse für arbeitslose Mütter aus dem Weg zu räumen, bietet die Projektfabrik das Projekt inklusive Kinderbetreuung und in Teilzeit an. "Ziel ist auch, gemeinsam mit den Alleinerziehenden ein Modell zu entwickeln, wie sie in Zukunft Kinder und Job vereinbaren können", sagt Nicole Bartlakowski. Und wieder ein Stück sich selbst finden, wenn der Fokus so sehr auf den Kindern lag, dass die Mütter sich selbst und ihre Kompetenzen aus den Augen verloren haben.

Bei Petra ist der Funke längst übergesprungen. Sie liebt nicht nur die alte Sprache der Textvorlage, sie hat auch an Selbstbewusstsein gewonnen. "Und manchmal rede ich sogar im Alltag schon so", sagt sie und lacht, wenn sie an das Gesicht ihres Gegenübers denkt, sobald sie den alten Griechen zitiert.

Diese Sprache ist es auch, die Gudrun auf der Bühne Dinge sagen lässt, die sie zwar fühlt - aber ansonsten nie sagen würde. Wie ein einfaches "Du Memme". Oder: "Mich verrietest du, nahmest dir ein anderes Weib, obgleich du Kinder hattest."

"Arbeitssuchenden wird oft unterstellt, sie hätten Höchstleistung nicht drauf", sagt Gudrun. Die Theatervorstellungen beweisen das Gegenteil. Würde sie selbst zu einem Vorstellungsgespräch gehen, würde sie sich nach diesem Projekt aufrecht hinsetzen und sagen: "Diese Lücke auf dem Arbeitsmarkt, die fülle ich."