Nicht jeder hat Lust oder die Möglichkeit, im Sommer zu verreisen. Aber der alte Satz “Warum in die Ferne schweifen, siehe, das Gute liegt so nah“ hat auf jeden Fall seine Berechtigung. Die Lüneburger Rundschau stellt in einer Serie jede Woche Ziele für den Urlaub daheim vor. In dieser Woche Kirchen. Heute: Lüneburg und seine Turmführungen.

Lüneburg. Knapp 54 Meter ist die Strecke lang. Für eine Rundführung ziemlich kurz, aber nur, wenn der Besucher nicht weiß, dass es steil nach oben geht. 235 Stufen sind es bis ins Stockwerk über der Glockenstube der St. Nicolaikirche. Die fantastische Aussicht vom Kirchturm der Schifferkirche im Wasserviertel über Lüneburgs Dächer und Giebel entlohnt jedoch für den anstrengenden Aufstieg. Nebenbei unternimmt der Besucher auch eine kleine Zeitreise in die Entstehungsgeschichte des Turms.

Seit acht Jahren führen die Turmführer der Turmführergilde Lüneburg ehrenamtlich Touristen und Einheimische hinauf in die Kirchtürme von St. Nicolai und St. Johannis Am Sande. Jeden Sonnabend in den Sommermonaten und bis Mitte September jeweils um 13 und um 14.30 Uhr.

Die steinernen Stufen im Turm von St. Nicolai sind sehr schmal, glatt und auch ein wenig ausgetreten. Sie bieten gerade mal einer halben Fußlänge Platz. Der aus Backsteinen gemauerte Aufgang schraubt sich sehr eng nach oben, nur eine dicke Kordel dient als Handlauf und bietet etwas Halt. In St. Johannis ist es nicht viel anders, obwohl der Turm deutlich breiter ist. "Man muss schon fit und auch schwindelfrei sein", sagt Turmführerin Sabine Büschelberger.

Die erste Station beim Aufstieg in den Turm von St. Nicolai ist in 14 Metern Höhe. Dort gibt es Gelegenheit, auf einen Balkon nach draußen zu treten. Von hier oben wird erst deutlich, wie grün Lüneburg ist und wie viele Lüneburger sich geschützt vor neugierigen Blicken von der Straße, kleine blühende Hinterhof-Oasen geschaffen haben.

Es geht weiter hinauf zum Uhrwerk der Kirchturmuhr. Das mehr als 200 Jahre alte Räderwerk funktioniert noch und treibt die drei Zifferblätter außen am Turm an. "Im Sommer geht sie etwas nach, im Winter dafür etwas vor", so Sabine Büschelberger und erklärt, dass das mit den Temperaturen zusammenhängt. "Wenn es warm ist, dann dehnt sich das Material aus und wird schwerer, dann geht die Uhr etwas langsamer, im Winter ist es umgekehrt."

In der Glockenstube hängen die riesige St. Marienglocke und die im Vergleich kleine Leihgabe aus Ostpreußen. Die Glockenstube ist komplett aus Holz konstruiert. "Jedes andere Material würde den Kräften, die bei den Schwingungen der rund vier Tonnen schweren Marienglocke frei werden, nicht standhalten." Beachtlich, wenn klar wird, dass das Holz auch schon mehrere Hundert Jahre alt ist.

Zur letzten Station geht es über eine freistehende Holztreppe einmal quer durch den Turm. Der Blick über die Stadt in 54 Metern Höhe entschädigt allemal für die wackeligen Beine. Der Kreidebergsee liegt ruhig wie aus Blei gegossen mitten im Grünen, die roten Ziegeldächer leuchten in der Sonne und in der Ferne schimmert das Blau der Elbe.

Auch der St. Johannisturm ist einen Aufstieg wert. Hier sind es übrigens 184 Treppenstufen bis nach oben in die Glockenstube. "Sechs bis sieben Millionen Ziegel wurden hier verarbeitet", so die Turmführerin. "Aber nur für die Innen- und Außenwände. Die Hohlräume dazwischen wurden mit Bauschutt, Steinen und Gips verfüllt."

Sabine Büschelberger räumt auch mit der Sage um den Baumeister auf, der sich angeblich vom Turm gestützt haben soll, als klar war, dass dieser schief steht. Es war kein architektonisches Problem. "Der Mann konnte wirklich nichts dafür, der Untergrund hat irgendwann während des Baus nachgegeben. Denn nur ein Teil des Turmes wurde auf dem Fundament einer alten Kapelle errichtet. Der andere Teil sackte ab."

Oben fällt der Blick auf den Sand, greifbar nah und auf gleicher Höhe der Wasserturm und auf der anderen Seite der Altstadt das ragende Gebäude von St. Nicolai. "Einen besseren Blick über Lüneburgs Innenstadt bekommen Sie nirgendwo", versichert Sabine Büschelberger. Recht hat sie, denn mit 108 Metern ist St. Johannis das höchste Gebäude im Herzen der Salzstadt.