Wie ein geplatztes Candlelight-Dinner mit Übersetzer und Erzähler Harry Rowohlt unsere Autorin Maike Schade sehr glücklich machte.

Lüneburg. Harry Rowohlt liest und erzählt. So wurde die Lesung des wohl berühmtesten deutschen Übersetzers, Erzählers und inzwischen Ex-Trinkers im Lüneburger Theater am vergangenen Donnerstag angekündigt. Harry Rowohlt. Mit dem, das ist klar, will ich sprechen. Und zwar nicht nur im Interview. Mein Plan: Wir gehen vor der Lesung gemütlich was essen und plaudern über Gott und die Welt.

Per E-Mail frage ich bei der Theatersprecherin Anna Bause an. Ob Sie mir Kontaktdaten besorgen oder vielleicht sogar etwas einfädeln könne? Eine großartige Idee, meint sie. Aber ganz so einfach werde das wohl nicht. Ich müsse selbst bei der Agentur anfragen, Nummer anbei.

Antonie Klein heißt die Agentin. Eigenartig, eine Münchner Vorwahl - geht der Hamburger Harry fremd? Ich schildere Frau Klein mein Anliegen. "Großartige Idee", findet sie, "das würde ich selbst gern machen, ich bewundere Herrn Rowohlt sehr." Helfen könne sie mir indes nicht, ihre Agentur vermittele ausschließlich Opernsänger. Ah.

Wie gut, dass es das Internet gibt. Ratzefatze habe ich die Nummer einer anderen Agentur aufgetan, diesmal in Kiel: Andrea Jung Entertainment. Hier sei ich richtig, versichert mir der Herr an der Strippe. Zumindest fast. Sie machten nur die Promotion, aber er könne mir die Nummer von Harry Rowohlts Agenten geben. Großartige Idee übrigens, das mit dem Abendessen.

Es dauert nicht allzu lange und ich habe wirklich den Agenten am Apparat. Ertu Eren findet ebenfalls, ein Abendessen wäre eine großartige Idee - nur bezweifelt er, dass Harry Rowohlt das ähnlich sieht. Fragen könne ich ja trotzdem mal: per Fax. "Internet hat er nicht, schreiben Sie ihm einen Brief", sagt Ertu Eren. "Achten Sie aber bitte darauf, dass Sie keine Rechtschreibfehler machen. Und unterschreiben Sie handschriftlich, mindestens!" Dann würde Herr Rowohlt bestimmt antworten, also wahrscheinlich. Vielleicht. Doch, bestimmt, ich solle mir aber keine großen Hoffnungen auf ein Essen machen: "Wahrscheinlich hat er keinen Bock." Ach ja, und was Harry Rowohlt übrigens überhaupt nicht leiden könne, seien schlecht informierte Journalisten. "Da kann er richtig grantig werden."

Oha. Schönschrift, Füller, nette Worte, damit müsste man doch des weisen Mannes Herz berühren? Die Ernüchterung folgt sofort. Einen Füller gibt es in der Redaktion nicht - Kuli ist angesagt. Schönschrift? Mmmja, er wird es hoffentlich entziffern können; als Journalist muss man vor allem schnell schreiben können, das macht das Schriftbild nicht besser. Bleiben noch die netten Worte. So lauten sie schließlich: "Sehr geehrter Herr Rowohlt, seit einer halben Stunde sitze ich an diesem Brief an Sie. Ich finde die richtigen Worte nicht, deswegen frage ich Sie nun einfach geradeheraus: Würden Sie mit mir essen gehen?"

Überraschenderweise schaffe ich es, das hochbetagte, schlummernde Redaktions-Faxgerät zu bedienen. Eine Antwort werde ich an diesem Freitag nicht mehr erhalten, laut Agent Eren ist Harry Rowohlt beim Dreh der "Lindenstraße" - hier spielt er seit knapp sechzehn Jahren den Penner Harry.

Montagmorgen. Ein Fax ist gekommen. Keine kurze Absage, nein: ein ganzer Brief. Einer, wie man sie aus seinen Büchern kennt - geschrieben auf der Schreibmaschine, nach der Anrede nicht ein schnödes, flüchtiges, beiläufiges Komma, sondern ein knackiger Doppelpunkt. "Sehr geehrte Frau Schade:", mit dem Essen, das werde nichts. Weil er keine Zeit habe und vor einem Gig grundsätzlich nichts esse. "Weil ich dann gleich wieder pennen wollen würde, kann, fürchte ich, so gern ich mit Ihnen bei einem Candlelight-Dinner über Gott und die Welt geplauscht hätte, aus unserem Tête-à-tête nichts werden. Niemand bedauert das mehr als ich."

Tja, schade, Frau Schade. Aber einen kleinen Lichtblick gibt es. Nach dem Soundcheck stelle er sich immer gern noch vor die Tür "um Passanten den Arm umzudrehen", schreibt Rowohlt weiter. Dann könne ich ihn ja ansprechen. "Darauf freue ich mich vorsichtshalber jetzt schon."

Ich mich auch. Nur: Wann ist der Soundcheck? Seine Telefonnummer steht zwar in der Antwort, aber inzwischen finde ich den Briefwechsel per Fax geradezu romantisch und schicke gleich noch eins rüber nach Hamburg-Eppendorf. Nicht ohne zu erwähnen, dass ich diese Art der Kommunikation ungeheuer spannend finde.

Eine Stunde später klingelt das Telefon. "Harry Rowohlt", brummt es aus dem Hörer. Ob ich Telefonieren zeitgemäßer fände? "Hm ... oh ... äh", mache ich. Aber er spricht schon weiter, zitiert während des Drei-Minuten-Gesprächs mindestens fünf Koryphäen - von denen ich Banause nur drei kenne -, erzählt von seinen äußerst netten Kolleginnen bei der "Lindenstraße" und seinem jüngsten Besuch in Lüneburg. "Da wollte ich mich beim Publikum einschleimen und habe erzählt, dass ich in der Schule sogar den Sülfmeister gelesen hätte. Die haben alle abgekotzt." Soundcheck sei übrigens um sieben.

Donnerstag, 19.10 Uhr, an einem Bistro-Tisch vor dem Lüneburger Theater. Ein wenig gebeugt und leicht schlurfend kommt Harry Rowohlt auf mich zu. Vor viereinhalb Jahren wurde bei ihm Polyneuropathie diagnostiziert, eine unheilbare Krankheit, bei der die Nervenenden absterben. Eine Kreativenkrankheit sei das, sagte er mal in einem taz-Interview, und meistens käme sie vom Suff. Mit dem Trinken hat er aufgehört, nur vier Mal im Jahr dürfe er sich mit Erlaubnis seines Neurologen "die Kante geben", sagt er später bei der Lesung. "Ich habe natürlich höllische Angst, den Termin zu verpassen."

Jetzt, bei unserem Tête-à-tête zwischen Tür und Angel, trinkt Harry Rowohlt Kaffee und raucht eine Zigarette nach der anderen, um den Nikotinspiegel auf eine angemessene Höhe zu fahren. Was solle man denn sonst machen, wenn man wegen des Rauchverbots stundenlang nicht rauchen könne?

Gut sieht er nicht aus. Gräulich blass, eingefallen wirkt das Wenige, das ich vom Gesicht erkennen kann: Unter der Seemannsmütze sehe ich eine silberne Nickelbrille, an die quasi lückenlos der flauschige, fluffige Bart anschließt. Und doch: Die Augen blitzen.

"Wie geht es Ihnen?", wird meine erste und mehr oder weniger einzige Frage an den großen Vortragskünstler sein. Denn Harry Rowohlt redet nun mal gern. Er erzählt Anekdötchen von Lesungen, Geschichten über Zugfahrten, schwärmt von seinem Freund Gregor Gysi und schiebt zwischendurch noch zwei Burgenländer Witze ein. "Das Burgenland ist quasi das Ostfriesland Österreichs, und da kenne ich ein paar wunderbare Witze."

Bis kurz vor acht Uhr stehen wir am Tisch und plaudern. Nach einer halben Stunde überlege ich, ob ich als knallharte Journalistin den Monolog unterbrechen und meine Fragen abfeuern soll - Woran berauscht er sich jetzt, wenn er nicht mehr trinkt? Setzt er auch einen Doppelpunkt hinter die Anrede, wenn er ans Finanzamt schreibt, oder tut es da ein nichtssagendes Komma? In welcher Talkshow wäre er gern zu Gast und was hält er von zu Guttenberg? Doch ich beschließe, dass es wunderschön ist, mich so geistreich unterhalten zu lassen. Sprich weiter, Harry, hör nicht auf!

Und das tut er, auch bei der folgenden Lesung im ausverkauften Theater. Bis 23 Uhr, dann muss Schluss sein, weil das Bühnenbild für die "Karlsson"-Vorstellung am folgenden Morgen noch aufgebaut werden muss, sehr zum Verdruss des Erzählers. "Ich weiß gar nicht, wie ich das machen soll, in nur drei Stunden", hatte er noch am Bistro-Tisch gejammert. Üblicherweise dauert seine "Betonung ohne Schausaufen" (im Gegensatz zu seinen früheren, alkoholgeschwängerten "Schausaufen mit Betonung") gern vier bis sechs Stunden.

Doch ein Profi ist ein Profi ist ein Profi. In kürzester Zeit und mit einem Glas Wasser auf dem Tisch dichtet und singt, berichtet und schweift, erzählt und grummelt sich der "Ambassador of Irish Whiskey" in die Herzen der Zuschauer.

www.harryrowohlt.com