Lüneburger Professor verhilft einem Autorenkollegen vielleicht noch zu spätem Ruhm

Lüneburg. Theater ist für ihn das Größte. Und deshalb war es für Professor Werner Preuß eine besondere Freude, sich mit einer mittelalterlichen Komödie der besonderen Art in seinem neuesten Buch zu beschäftigen. Das "Schauspiel der freien und unbändigen Jugend" wurde 1619 von dem Autor Niccolaus Loccius verfasst, damit es anlässlich der Fastnacht in Lüneburg aufgeführt werden konnte. Auf die Bühne kam das pralle Stück Leben aus dem späten Mittelalter aber nie.

"Das Jahr 1619 war ein Jahr der Rebellion. Die Stadt Lüneburg war hoch verschuldet, es musste dringend eine Lösung für das Finanzdebakel gefunden werden. Die Bürger wurden aufgefordert, sich an der Beseitigung der finanziellen Schieflage zu beteiligen - aber ohne eine Gegenleistung wollten sie das nicht tun", sagt Werner Preuß. Der Ärger der Bürgerschaft richtete sich damals gegen die so genannten Junker, aus dem Bürgertum aufgestiegene Neureiche, die es sich leisten konnten, echter Arbeit aus dem Wege zu gehen.

"Viele, vor allem jüngere Vertreter dieser Gattung waren bei fleißigen Bürgern nicht wohl gelitten. Sie galten als faul und unmoralisch, verspielten das Geld ihrer Eltern und wurden nicht selten unter Alkoholeinfluss gewalttätig", erzählt Preuß. Einen dergestalt sympathischen, mittelalterlichen Zeitgenossen hat sich auch Niccolaus Loccius vorgenommen, der im Jahr 1619 das "Schauspiel der freien und unbändigen Jugend" zu Papier gebracht hat. Seine Hauptperson ist ein junger Flegel: Er verlässt das Elternhaus, weil er sich dort schlecht behandelt fühlt. Doch in der Fremde muss er erkennen, dass er ohne einen erlernten Beruf dem sozialen Abstieg preisgegeben ist. Der junge Mann betätigt sich schließlich als Schweinehirte, aber auch diese Arbeit erledigt er schlecht.

"Er spricht Hochdeutsch mit den Schweinen, und das verstehen die nicht. Die Bauern jener Zeit sprechen platt, auch mit ihren Tieren", sagt Preuß. Die Geschichte um den übermütigen Sohn eines Lüneburger Patriziers endet versöhnlich. Sie hat viele Bezüge zum biblischen Gleichnis um den verlorenen Sohn, dennoch wird ziemlich deutlich, dass der Autor mit seinem Stück den Junkern in seiner Stadt kein gutes Zeugnis ausstellen wollte.

"Es gehörte schon ein gewisser Mut dazu, ein derart sozialkritisches Stück auf die Bühne zu bringen. Das ging nur aus Anlass der Fastnacht", sagt Preuß. Denn das Schauspiel sollte den Lüneburger Sülfmeistern gezeigt werden, und deren Lebenswandel galt damals schon nicht mehr als vorbildlich. Doch weil ohnehin Unruhen in der Stadt herrschten, wurde die Aufführung der provokanten Komödie abgesagt. Die Auseinandersetzung zwischen dem Lüneburger Bürgertum und dem städtischen Adel musste im Jahr 1619 schließlich vom zuständigen Herzog beigelegt werden, damit sich die Wogen wieder glätteten.

"Der Herzog entschied, dass zukünftig fünf Bürger im Rat der Stadt Sitz und Stimme haben sollten", sagt Werner Preuß. Damit hatten erstmalig Bürgerliche ein Mitbestimmungsrecht auch über städtische Finanzen.

Das Theaterstück zu Fastnacht dagegen verschwand vorerst in den Archiven. Eine ganze Weile befand es sich in der Bibliothek des Abtes von Loccum, nach dessen Tod wanderte es in die Leibnitz-Bibliothek in Hannover, wo das Original auch heute noch steht. "Es gibt nur ein weiteres Exemplar, eine schlechte Kopie, die sich in der Universitätsbibliothek in Regensburg befindet", erklärt Preuß.

Für Preuß war es nicht das erste Mal, dass er sich mit Lüneburger Geschichte beschäftigt hat. Mehrere Publikationen von ihm zu diesem Themenbereich liegen bereits vor, denn Preuß ist wissenschaftlicher Publizist, Kurator und, seit 2010, außerplanmäßiger Professor für Neuere Deutsche Literatur und regionale Kultur an der Leuphana. Rund 20 Bücher hat der Autor, der in Bardowick lebt, bereits geschrieben. Doch seine letzte Veröffentlichung, die ab Ende des Monats in den Lüneburger Buchhandlungen zu haben ist, hat ihm besonders viel Freude gemacht. Auch auf dem Weihnachtsmarkt des ALA am kommenden Wochenende wird das neue Buch zu haben sein.

"Das Schauspiel ist ein lebendiges und teilweise sehr witziges Zeugnis des Lüneburger Alltagslebens in jener Zeit", sagt er. Und dem Autor Niccolaus Loccius, einem ehemaligen Lehrer am Johanneum, verhilft es vielleicht noch zu ein bisschen späten Ruhm.

Werner Preuß, der Schauspiel der Freien und unbändigen Jugend, 24,95 Euro, Husum Verlag.