Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) hält trotz Widerspruchs eines Gutachters an den Plänen zur Trennung von Stadt und Landkreis Lüneburg fest.

Lüneburg. Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass Lüneburgs Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) die Kreisfreiheit der Stadt propagierte und den Landkreis zum einen Teil Harburg und zum anderen Teil Lüchow-Dannenberg zuschlagen wollte. Der Staatswissenschaftler Prof. Joachim Jens Hesse kommt nun in einem vom Landkreis beauftragten Gutachten zu einem anderen Modell: Lüneburg solle Kreisstadt bleiben, der Kreis mit Uelzen und Lüchow-Dannenberg fusionieren.

Hambruger Abendblatt: Herr Mädge, im vorigen Sommer hatten Sie noch die Vorstellung einer starken, kreisfreien Hansestadt Lüneburg mit 135 000 Einwohnern. Ist ihr Ansinnen nach dem neuen Gutachten von Professor Hesse nun vom Tisch?

Ulrich Mädge: Die Rede ist immer noch davon. Hesse sagt aber, das ist richtig, dass es die Region so schwächen würde, dass sie nicht mehr lebensfähig wäre. Daher ist das zurzeit nicht machbar.

Können Sie die Gründe für den Meinungsumschwung des Professors nachvollziehen?

Ja, wenn er die Idee der Zerschlagung des Kreises Lüneburg verwirft. Professor Hesse kann auch nicht Wolfsburg den Status der Kreisfreiheit nehmen und gleichzeitig uns auf diesen Status heraufsetzen.

Wie fühlt sich das an für einen selbstbewussten OB einer selbstbewussten Stadt?

Wir haben nicht verloren in dieser Diskussion, sondern sie ist weitergegangen in die Richtung, die ich wollte. Ich fühle mich bestätigt, auch politisch. Mir geht es nicht um den Status, sondern darum, die Stärke Lüneburgs zu sichern. Wenn wir die Lokomotive spielen sollen, muss man uns stärken.

Jetzt soll Lüneburg anstatt kreisfrei zu werden die Nachbarn Uelzen und Lüchow-Dannenberg auffangen - als Motor der ganzen Region. Wie kann das funktionieren, wenn Lüneburg selbst so klamm ist, dass Stadt und Kreis Entschuldungshilfen beim Land beantragen? Und Uelzen die Fusion nicht will?

Das ist eine Aufgabe, die wir nicht wahrnehmen können, der Landrat und ich fühlen uns überfordert. Zumal Uelzen an zwei reiche Kreise grenzt: Celle und Heidekreis. Wenn man uns nicht kaputtmachen will, müssen diese den südlichen Teil übernehmen und wir nur den nördlichen bis zur Stadt Uelzen - Stichworte HVV und Anbindung an Hamburg. Den strukturschwachen südlichen Teil zu übernehmen, überfordert uns. Da kommt von uns Kritik und Widerstand.

Gilt das auch für den Kreis Lüchow-Dannenberg?

Nein, Lüchow-Dannenberg können wir problemlos aufnehmen, wenn wir einen Gorleben-Fonds bekommen für eine Sonderalimentierung durch den Bund, als Ausgleich für das Defizit an Infrastruktur bei öffentlichem Verkehr und Schulen. Ich denke da auch an den Ausbau der Bahnlinie und den der Bundesstraße 209. Und ich glaube nicht daran, dass die Castoren bald in ein anderes Endlager fahren. Daher brauchen wir den Fonds, ähnlich wie Salzgitter.

Für einen Teil des Landkreises Lüneburg hatten Sie eine Fusion mit dem Kreis Harburg angestrebt. Auch dieser Vorstellung hat der Gutachter eine Absage erteilt. Wird die Region sich danach richten oder ihren eigenen Weg gehen?

Wir tragen das Gutachten nicht eins zu eins mit. Wir wollen einen Sonderstatus Lüneburgs mit Anerkennung unserer oberzentralen Aufgaben und einen Sitz auf Augenhöhe mit den Kreisen im Lenkungsausschuss der Metropolregion, auch wenn unser Antrag zunächst abgelehnt worden ist. Und wir wollen nur noch die Hälfte der Kreisumlage zahlen. Dafür kämpfen wir.

Ganz praktisch gesehen: Wie gehen Hansestadt und Kreis jetzt mit dem Gutachten um - umsetzen oder aussitzen?

2013 wird das entscheidende Jahr sein, nach der Landtagswahl wird das Thema gesetzlich umgesetzt. Solange werden wir abwarten, es sei denn, das Land sagt die Sonderalimentierung vorher zu. Dann können wir mit den Vorbereitungen beginnen. Ansonsten werden wir uns von den Gremien - Stadtrat und Kreistag - unsere Forderungen über Beschlüsse absegnen lassen.

Streben Sie für Lüneburg weiterhin die Kreisfreiheit an?

Wenn das Modell des Sonderstatus' nicht kommt, ja. Natürlich wäre ich weiterhin lieber kreisfrei. Ich halte mein Modell der Auflösung des Kreises Lüneburg nach wie vor politisch und wirtschaftlich für das beste. Doch Politik lebt von Kompromissen. Als Ziel aber gebe ich es nicht auf, denn in 20 Jahren reden wir wieder über eine Gebietsreform. Und wenn der Dreierkreis kommt, werden sich die nahe an Lüneburg gelegenen Gemeinden mit Sicherheit zur Stadt hin orientieren, wenn sie merken, dass ihr Einfluss im neuen Großkreis gesunken ist. Der Raum wird sich dann Lüneburg anschließen, um seine Bedeutung zu behalten.

Wäre Lüneburg kreisfrei, würde die Stadt einen mittleren siebenstelligen Betrag jährlich sparen, hatten Sie ausgerechnet. Wie viel muss Lüneburg draufpacken, wenn Uelzen und Lüchow-Dannenberg dazukommen?

Ich rechne mit zusätzlichen Belastungen von 20 bis 30 Millionen Euro pro Jahr für die Infrastruktur.

Sie fordern eine Entwicklungsagentur für die Region. Was soll diese zusätzliche Behörde leisten?

Die Bezirksregierung in ihrer Größenordnung abzuschaffen, war richtig. Aber in der Praxis fehlt die Bündelungsfunktion, Interessen zusammenzuführen und nach Hannover zu tragen, sowie Großprojekte zu begleiten. Wir sind zu weit von Hannover weg. In Lüneburg müssen wieder Beamte arbeiten, die Entscheidungskompetenz haben. Dafür reichen 30 bis 50 Personen, die Bezirksregierung war zu bürokratisch.

Professor Hesse nannte diese Idee eine "Rolle rückwärts".

Ja, weil er das Gutachten zur Abschaffung der Bezirksregierungen geschrieben hatte. Aber auch andere Kollegen, etwa im Weser-Ems-Bereich, haben dieselben Probleme wie wir. Wir müssen hier wieder an einem Tisch sitzen können und anschließend in Hannover das Ergebnis umsetzen können. Dafür setze ich mich in der SPD und bei der derzeitigen Landesregierung ein.

Machen Sie von der Entwicklung der Strukturreform Ihre Kandidatur für die Oberbürgermeisterwahl 2014 abhängig?

Nein. Aus heutiger Sicht stehe ich 2014 zur Verfügung, wenn die Partei es will. Ich fühle mich fit, ich habe Ideen und Visionen, und ich halte dem Druck stand. Zusammen mit der Partei werde ich nach der Landtagswahl bis Mitte 2013 darüber entscheiden. Im Übrigen soll die Wahlperiode wieder den Ratswahlzeiten angepasst werden, falls die SPD ab 2013 die Landesregierung stellt.

Vor welchem Hintergrund will die SPD die Wahlperiode verkürzen?

Ich habe mich bislang für die Trennung der Wahlen von Oberbürgermeister und Rat ausgesprochen. Am 11. September dieses Jahres habe ich gelernt: In der Praxis funktioniert das nicht. Hätten wir zeitgleich eine OB-Wahl gehabt, hätten wir in der Stadt fünf Prozent mehr Stimmen und zwei Sitze mehr gehabt, davon bin ich überzeugt. Wir haben es nicht geschafft, die Ratsfraktionen selbstständig darzustellen. Daher wollen wir die Wahlen wieder zusammenführen und die Perioden angleichen.