Michaela Wenzel wurden eine Niere und eine Bauchspeicheldrüse transplantiert. Das Leben der 39-Jährigen hat sich seitdem komplett geändert.

Melbeck. Vor zwei Monaten berichtete die Lüneburger Rundschau über die Dialysepatientin Michaela Wenzel. Seit knapp dreißig Jahren leidet die 39-Jährige an Diabetes, seit drei Jahren musste sie drei Mal wöchentlich zur Dialyse in die Praxis Dr. Schnitzler und Kollegen beim Lüneburger Klinikum. An dem Tag, an dem der Artikel erschien, am 25. August, klingelte bei Michaela Wenzel um halb drei Uhr morgens das Telefon. Ein Anruf, mit dem ihr neues Leben begann.

"Erst wollte ich gar nicht drangehen", erinnert sich Michaela Wenzel. "Mein Ex-Mann hat mir früher nachgestellt." Doch es war nicht der Ex-Mann. In der Leitung ist ein Herr vom Transplantations-Center am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). "Ich habe zuerst gar nicht realisiert, was er wollte. Ob ich gesund wäre, hat er gefragt. Keine Erkältung, kein Fieber?" Anschließend habe der Anrufer die diensthabende Notfall-Schwester der Lüneburger Dialyse-Praxis benachrichtigt und sich zehn Minuten später nochmals bei ihr gemeldet. Dann erst war Michaela Wenzel klar: Es geht los. Endlich. Eine neue Niere wartet auf sie! Und eine Bauchspeicheldrüse gleich dazu!

Tasche packen, die Mutter herbitten, Taxi rufen, sich vom neunjährigen Sohn Lyon verabschieden - die folgende Stunde vergeht in Hektik, Michaela Wenzel ist aufgeregt, voller Hoffnung. Und sie hat Angst. Dass doch noch etwas schiefgeht, dass die Spenderorgane vielleicht doch nicht passen, dass etwas damit nicht stimmt oder ihre eigenen Werte nicht in Ordnung sind.

Um viertel vor vier steht das Taxi vor der Tür. "Ich hatte eine Taxifahrerin, die war richtig toll", sagt Wenzel, "in einer halben Stunde waren wir im UKE. Sie hat mich beruhigt, ist mit hineingegangen und hat mich auf Station noch mal in den Arm genommen." Nun beginnen für die Melbeckerin die Untersuchungen. "19 Röhrchen Blut haben die mir abgenommen." Außerdem vier Stunden Dialyse, diverse Untersuchungen, die Lunge muss geröntgt werden. Wenigstens bleibt ihr das EKG erspart, weil sie gerade erst beim Kardiologen war. Um 14 Uhr schließlich die Bestätigung: Die Spenderorgane sind in Ordnung, Michaela Wenzels Gesundheitszustand auch. "Dann ging es auf einmal unheimlich schnell. Die Beruhigungstablette schlucken, diese schrecklichen Stützstrümpfe anziehen." Gerade kann sie noch an die Familie eine SMS schreiben: "Ich komme jetzt unters Messer." Und dann "war ich schon weg".

Als Michaela Wenzel wieder aufwacht, liegt sie in einem Vierbett-Zimmer auf der Intensivstation. Die Operation ist gut gelaufen. Neben ihrer alten Bauchspeicheldrüse sitzt nun eine zweite, die eifrig Insulin produziert. Die übrigen Säfte, die ebenfalls von der Bauchspeicheldrüse kommen, werden direkt über die Harnblase entsorgt, erklärt Spezialist Dr. Andreas Schnitzler von der Lüneburger Dialyse-Praxis. Schließlich arbeite die alte Bauchspeicheldrüse auch noch mit, nur werde von ihr kein Insulin produziert - "alle anderen Säfte wie Verdauungssaft und ähnliches schon".

Auch die alten, verkümmerten Nieren sitzen noch an ihrem Platz; die neue wurde in einen Hohlraum im Becken gesetzt. "Man muss eine Niere so nah wie möglich an der Harnblase anschließen", erklärt Mediziner Schnitzler. Denn problematisch sei nicht der Anschluss an die Blutgefäße, sondern der an den Harnleiter. "Bei gesunden Menschen ist er etwa 25 Zentimeter lang, zu einer transplantierten Niere nur ungefähr acht."

Zwei Wochen muss Michaela Wenzel im Krankenhaus bleiben. Nach einigen Tagen bekommt sie fürchterliche Rückenschmerzen, "von dem Bett", sagt sie. Auch zu Hause in Melbeck ist die Lage nicht entspannt: Sohn Lyon ruft häufig bei ihr an, beklagt sich. "Aber das Schlimmste für mich, eine richtige Qual, war, dass ich nichts essen und trinken durfte. Das hat mich wahnsinnig gemacht." Nach drei Tagen ein Schlückchen Tee, am vierten ein wenig Joghurt und ein Zwieback. "Warum dürfen alle anderen was essen? Warum ich nicht?", habe sie die Ärzte angefaucht. Grund war die Bauchspeicheldrüse, die sich erst einmal ans Essen gewöhnen musste.

Das musste auch Michaela Wenzel. Nach dreißig Jahren mit Diabetes kann sie nun essen, was sie möchte. Kuchen, Süßigkeiten, Eis. "Ein Arzt hat mir sogar gesagt, Süßes sei ganz gut, die Bauchspeicheldrüse müsse ordentlich was zu tun bekommen, damit sie nicht träge wird!" Mehr noch als auf Schokolade hatte sich Michaela Wenzel aber darauf gefreut, frisches Obst und Gemüse essen zu können und so viel zu trinken, wie sie möchte. "Wenn man zur Dialyse muss, darf man höchstens einen halben Liter Flüssigkeit am Tag - inklusive Essen", sagt sie. "Ich habe mir immer vorgestellt, dass überall Wasser steht und ich ein Glas nach dem anderen trinke." Doch damit tut sie sich jetzt schwer. "Ich mag irgendwie nicht", sagt sie traurig, "ich muss mich richtig zum Trinken zwingen. Inzwischen versuche ich es mit Spezi, mit etwas Leckerem, damit ich wenigstens das Nötigste trinke." Und Obst und Gemüse? "Kein Appetit."

Sie friert viel, ist schlapp und ziemlich blass um die Nase. "Blutarmut", meint Michaela Wenzel Schultern zuckend. "Dagegen muss ich auch Medikamente nehmen." Außerdem Mittel für das Immunsystem, damit die neuen Organe nicht abgestoßen werden. "Das ist ganz normal und kein Problem", sagt Dr. Schnitzler. "Die neue Niere wird vom Körper als Fremdkörper erkannt und bekämpft. Dadurch kommt es zu einer Entzündung." Doch solange diese nicht zu stark sei, stelle sie keine Gefahr da. Besonders in den ersten drei Monaten sei das Risiko einer Abstoßung relativ hoch, erst nach einem Jahr könne man davon ausgehen, dass das Spenderorgan angenommen sei. Schnitzler: "Etwa bei dreißig Prozent der Transplantationen kommt es zu mehr oder weniger schweren Abstoßungen. Bei drei Prozent kommt es zu einem Verlust des Organs."

Geht alles gut, könne eine transplantierte Niere jahrzehntelang funktionieren, im Schnitt hält sie fünfzehn Jahre. Bei Michaela Wenzel stehen die Chance auf eine lange Lebensdauer gut: Niere und Bauchspeicheldrüse stammen von einer 28-jährigen Frau, sind also relativ jung und unbelastet.

Richtig glücklich wirkt Michaela Wenzel trotzdem nicht, wie sie so blass und fröstelnd auf ihrem Sofa sitzt. "Mir tut alles weh", sagt sie. Und dann ist die Angst, dass sie irgendetwas falsch macht. "Im Krankenhaus waren meine Werte besser", glaubt sie. Facharzt Schnitzler beruhigt: "Falsch machen kann man nichts. Und die unterschiedlichen Werte kommen einfach davon, dass die Proben in unterschiedlichen Labors untersucht wurden. Da gibt's immer Differenzen."

Das Vertrauen ins Glück fehlt trotzdem. "Wenn's irgendwo eine Komplikation zu holen gibt, habe ich immer die Hand oben!", meint sie leise lachend. So wie vor vier Wochen, als sie nochmals für sechzehn Tage ins Krankenhaus musste, weil sich um die Niere herum eine Flüssigkeit angesammelt hatte. Bis die Narben verheilt sind, braucht es noch eine Weile. Dann aber, davon ist die Melbeckerin überzeugt, wird sie ihr neues Leben in vollen Zügen genießen. (abendblatt.de)