Mieter fürchten Abriss oder Luxusmodernisierung und möglicherweise die eigene Wohnungslosigkeit. Landesbehörde prüft die Denkmaleigenschaften.

Lüneburg. Thomas Albrecht hat Angst. Dass ihm noch einmal das Gleiche passiert, was ihm vor ein paar Jahren passiert ist. Dass er seine Wohnung verlassen muss und keine neue findet, er obdachlos wird. Denn das Haus, in dem er und vier andere Parteien leben, steht zum Verkauf. Und ein Abriss ist wahrscheinlich.

Seit Januar 2006 wohnt Thomas Albrecht in der Sülzwallstraße 1. Seine Freundin hatte sich von ihm getrennt, erzählt er, ihn von einem Tag auf den anderen auf die Straße gesetzt. "Ich habe lange Zeit keine Wohnung gefunden", sagt Albrecht. "Es ist sehr schwer, in Lüneburg etwas Günstiges zu finden." Denn viel Geld hat der zurzeit von Sozialleistungen lebende 39-Jährige nicht.

Nachdem vor anderthalb Jahren sein Vermieter gestorben sei, wolle dessen Witwe jetzt die Häuser Sülzwallstraße 1 und 3 an der Ecke zur Straße Hinter der Sülzmauer verkaufen, erzählt der Mieter. Von drei potenziellen Investoren berichtet Thomas Albrecht, die Interessenten haben nach seiner Aussage "bereits angedeutet, beide Häuser durch Neubauten zu ersetzen".

Denn der Häuserkomplex selbst, schätzt der 39-Jährige, hat wenig Wert. "Was hier zählt, ist die Lage. Für die Investoren geht es nur um das Grundstück." Fünf Wohnungen gibt es in seinem Haus, nebenan weitere zwei. Nach seinen Informationen liegt der Kaufpreis derzeit bei 170 000 Euro.

"Ich habe Angst vor einer Entkernung mit anschließender Luxussanierung", sagt Thomas Albrecht. "Oder eben vor einem Abriss." Denn schnell eine neue Wohnung zu finden, daran glaubt der Hartz-IV-Empfänger nicht. Mit seiner Sorge sei er im Haus nicht allein, sagt er.

Eine weitere Mieterin, arbeitslos, in Privatinsolvenz stehend und Besitzerin zweier Katzen, rechne sich ebenfalls keine guten Chancen bei der Wohnungssuche aus. "Vor diesem Mietvertrag hatte sie 50 Absagen bekommen", erzählt Albrecht. Weitere Mieter seien ein Rentnerpaar, das sein Einkommen mit dem Sammeln von Pfandflaschen aufbessere, und ein Mann, der in der Gastronomie jobbt und ebenfalls Hartz IV beziehe. "Und im Eckhaus sieht die Mieterstruktur auch nicht anders aus."

Die Angst der Mieter in der Sülzwallstraße steht stellvertretend für einen Trend, der bereits beim Thema Frommestraße immer wieder öffentlich diskutiert wurde: Alte Häuser mit günstigen Mieten werden saniert, die bisherigen Mieter dadurch verdrängt. Das Stichwort, längst nicht mehr nur aus Hamburg und Berlin bekannt, lautet Gentrifizierung.

Und unberechtigt ist die Angst von Thomas Albrecht nicht. Um 4,6 Prozent sind die Mieten seit 2005 in Lüneburg gestiegen, ein Ende der Aufwärtsspirale ist nicht abzusehen. Ansprechpartner für Mieter mit geringem Budget ist die Lüneburger Wohnungsbaugesellschaft (Lüwobau) mit einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 5,50 Euro. Der liegt am unteren Ende der Lüneburger Spanne, die in der Spitze zwölf Euro erreicht. Doch auch die städtische Tochtergesellschaft kann keinen Wohnraum spontan zur Verfügung stellen. Geschäftsführerin Heiderose Schäfke sagte der Lüneburger Rundschau: "Spontan haben wir niemals etwas frei, denn keine unserer Wohnungen steht leer. Grundsätzlich sind wir immer offen, aber man muss etwas Geduld haben. Die Wartezeit hängt außerdem maßgeblich von den Wünschen der Interessenten ab."

Etwa elf Prozent Fluktuation in den knapp 2200 Wohnungen der Lüwobau habe es im vergangenen Jahr gegeben, sagte Schäfke. Auf der Warteliste stünden regelmäßig um die 300 Personen, Wechselwünsche von Lüwobau-Mietern werden vor neuen Bewerbern abgearbeitet. Die Wartezeit jedoch ist kürzer als gedacht. "In der Regel muss man bei uns zwei bis drei Monate warten", so Schäfke.

Hilfe können die Mieter der Sülzwallstraße bei Mietervereinen bekommen. Marielle Eifler vom Mieterverein zu Hamburg sagte der Rundschau: "Der Vermieter könnte eine Kündigung wegen geplanten Abrisses stellen, die gesetzlichen Anforderungen sind aber sehr hoch. In diesem Fall sollte sich der Betroffene dringend professionellen Rat holen." Sollte der neue Eigentümer die Wohnungen lediglich modernisieren wollen, gilt: Der Mieter muss eine Modernisierung im Sinne des Gesetzes dulden. Eifler: "Dazu zählen Maßnahmen zur Verbesserung der Mietsache, zur Einsparung von Energie oder Wasser oder zur Schaffung neuen Wohnraums. Luxusmodernisierungen muss der Mieter nicht dulden." Sei die Wohnung während der Sanierung nicht bewohnbar, müsse der Vermieter einen Ersatz stellen.

Hat der Mieter laut Eifler eine wirksame Modernisierungsankündigung erhalten, muss er die Arbeiten im Regelfall dulden. "Anders ist es nur, wenn dies für ihn oder für die Mitglieder seines Haushaltes eine unzumutbare Härte bedeuten würde." Dazu gehöre, laut der Sprecherin des Mietervereins, eine zu erwartende Mieterhöhung.

Einen Termin mit Maklerin und Denkmalschutzabteilung der Verwaltung hat es in der Sülzwallstraße bereits gegeben. Dazu sagte Stadtsprecherin Suzanne Moenck: "Wir haben die Landesbehörde für Denkmalschutz angeschrieben mit der Bitte, die Denkmaleigenschaft des Hauses zu prüfen."