Die Radbrucher Steinbildhauerin Gisela Milse öffnet am kommenden Wochenende Garten- und Werkstattpforte.

Radbruch. Kühl schmiegt sich die Aufmerksame an die Hand. Glatt, seidig, unnahbar und doch irgendwie tröstlich. Gut zwei Meter groß ragt sie schlank im Garten von Gisela Milse auf. Unerschütterlich, wie der Fels, aus dem sie gemacht wurde: Untersberger Marmor. "Die Aufmerksame" ist eine von rund vierzig Skulpturen, die die in Radbruch lebende Steinbildhauerin am kommenden Wochenende in ihrem verwunschenen, 3000 Quadratmeter großen Garten zeigt.

Betritt man das Gelände, fallen sofort die überlebensgroßen Figuren ins Auge. Schmal, viele mit einer Öffnung in der Herz- oder Kopfgegend: "Das bringt Licht in den Stein und symbolisiert den Atem- und Energiefluss", erklärt Gisela Milse. Noch etwas haben die Steinskulpturen gemein: Fast alle sind Frauengestalten. Die "Hüterin", die "Strömende", die "Meerweiber" - viele Figuren haben mythischen Hintergrund, stehen für den Ursprung, die Urkraft, das Lebensspendende.

Völlig unterschiedlich sind sie jedoch im Material. Während andere Steinbildhauer sich meist für nur eine Steinsorte entscheiden, verarbeitet die 56-Jährige unterschiedlichste Arten: Marmor, Sandstein, Granit. Deutsche, norwegische, italienische, sogar afrikanische und balinesische Gesteine finden sich in ihrem Atelier. "Ich finde es spannend, mit vielen unterschiedlichen Steinen zu arbeiten. Sie locken ganz unterschiedliche Dinge aus mir heraus", erklärt Gisela Milse.

So sei der norwegische Larvikit ein kühler, harter Stein. "Wenn es kalt und nass ist, fängt er durch seine Kristalle richtig zu leuchten an." Wie geschaffen für die "Meerweiber", archaische Wasserwesen und mythologische Schöpfungsgestalten.

Zu jeder Figur kann Gudrun Milse eine Geschichte erzählen, sie spricht von Wellen, von Energie, vom Fließen. Sie berichtet von Steinbrüchen, von geologischen Prozessen und der Kunst, eine Figur in sich stimmig zu machen. "Alle Seiten müssen schwingen und in sich stimmen, man kann ja nicht eine Seite an die Wand stellen", lacht sie. Schon Michelangelo habe gesagt: Eine Skulptur hat mindestens acht Ansichten. Man müsse eine Figur von allen Seiten betrachten. Und sie befühlen, um sie zu begreifen: "Man darf es anfassen. Man muss es auch!"

Den meisten ihrer Figuren gibt Milse einen Namen. Jedoch sei der Titel nicht entscheidend: "Das ist meine Intuition. Wenn jemand etwas ganz anderes darin sieht, ist das für mich auch völlig okay", sagt sie. Deshalb werden am Tag der offenen Tür auch nur kleine Nummern an den Skulpturen angebracht, die Namen und Daten stehen auf einer gesonderten Liste. "Ich finde, die Dinge müssen für sich selber sprechen."

Je nach Art des Steines sei ihr Werdeprozess ganz unterschiedlich. "Manche haben durch ihre Form schon viel Eigenständiges, das ich dann nur noch herausholen muss", sagt Milse. "Wenn das aber nur so ein viereckiger Brocken ist, muss ich sehr viel mehr an der Idee arbeiten."

Manchmal träume sie von einem bestimmten Stein. Ach, du sollst der Nächste sein?, frage sie sich selbst dann verwundert. Irgendwie hat sie sowieso das Gefühl, dass die Steine sie ausgesucht haben. Denn eigentlich war sie mal Grafikerin und Illustratorin. "Aber es erschien mir so unsinnig, Werbung für Zigaretten zu machen." Deshalb, und weil ihre Dozenten so viel vom besonderen Licht in Südfrankreich und Künstlern wie Cézanne geschwärmt hatten, ist sie für ein halbes Jahr dorthin gegangen. Dort traf sie die Steine. Oder die Steine sie.

Wenn nun ein Stein sie anspricht und sie eine Idee für eine Skulptur hat, macht Gisela Milse erst einmal kleine Tonmodelle, bevor sie mit Flex und Spatel an die Arbeit geht. Besonders praktisch seien diese Modelle bei Auftragsarbeiten: "Zuerst schaue mir dann die Ecke an, wo die Skulptur stehen soll, mache ein Foto davon und versuche herauszuhören, was für Menschen das sind". In das Foto könne sie dann am Computer das kleine Tonmodell in der angedachten Größe hineinmontieren, "viele können sich nämlich beim Tonmodell nicht vorstellen, wie die Skulptur in Groß wirkt."

Die Steine bestellt sie in Steinbrüchen oder bei Händlern, manchmal per Telefon. Manchmal habe sie auch Glück und könne Kollegen oder in Rente gehenden Steinmetzen Rohlinge abkaufen. Oder sie findet die Brocken im Straßengraben, so wie letztens den großen, roten Granitbrocken. Mal sehen, was der in sich verbirgt. Das Atelier von Gisela Milse in der Bardowicker Str. 68 in Radbruch ist am kommenden Samstag und Sonntag jeweils von 12 bis 18 Uhr geöffnet.

www.gisela-milse.de