Bürgermeister der Samtgemeinde Rolf Roth hat zu einer Party eingeladen. Kaum einer hatte an eine Stilllegung des AKW geglaubt.

Marschacht. Die Elbmarsch ist in Partylaune. "Wir feiern, dass der jahrelange Kampf gegen die Atomkraft mit der endgültigen Stilllegung des Kernkraftwerkes Krümmel gewonnen wurde", sagt Rolf Roth, Bürgermeister der Samtgemeinde Elbmarsch.

Er hat die Bürger zu einem Fest am Freitag, 19. August, um 17 Uhr auf den Platz vor der Ernst-Reinstorf-Schule in Marschacht eingeladen. "Wir feiern auch das Ende der negativen bundesweiten Schlagzeilen, für die der Pannenreaktor sorgte, und in die die Elbmarsch immer wieder hineingezogen wurde." Bessere Zeiten deuten sich an. Das bislang von Familien mit Kindern gemiedene Tespe wird als Wohnort attraktiver, seitdem Krümmel vom Netz ist. Der Meiler auf der anderen Seite der Elbe in Schleswig-Holstein steckte der niedersächsischen Elbmarsch wie ein schmerzhafter Stachel in der Haut. "Das Atomkraftwerk wird von 90 Prozent der Menschen in der Samtgemeinde abgelehnt", sagt Roth. Immer hätten die Leute gehofft, dass Krümmel eines Tages abgeschaltet wird. "Doch daran geglaubt hatte niemand."

Roth lebt seit 1985 am Elbdeich. Seit 1992 wohnt er in einem Haus in Marschacht, von dem aus er das Kernkraftwerk sehen kann, wenn er in den Garten geht. Der Blick alleine reicht schon. "Ein beklemmendes Gefühl. Das Risiko der Technologie habe ich sprichwörtlich immer vor Augen, weil ich das Atomkraftwerk sehen kann." Jahrelang hätten die Menschen in der Elbmarsch gehofft, Krümmel sei einigermaßen sicher, sagt Roth. Doch als die Diskussionen über die Fälle von Leukämie bei Kindern in den 1990er-Jahren begonnen hatten, sei bei vielen ein mulmiges Gefühl aufgekommen. Die Gründe für das weltweit auffälligste Leukämie-Cluster mit 19 in den vergangenen 21 Jahren erkrankten Kindern und Jugendlichen in der Nähe des Atommeilers Krümmel und des ehemaligen GKSS-Forschungsreaktors in Geesthacht liegen bis heute im Dunkeln. Noch immer streiten Wissenschaftler - unter anderem darüber, ob in Bodenproben tatsächlich radioaktive Kügelchen aus einem Atomunfall gefunden wurden.

Vor vier Jahren kippte die Stimmung in der Elbmarsch endgültig. Seitdem herrscht bei den Menschen blankes Misstrauen gegenüber dem Krümmel-Betreiber Vattenfall. "Wir wurden im Juni 2007 nicht darüber informiert, dass ein Transformator brennt", sagt Roth noch heute empört. Als nach dem Feuer zwei Jahre mit Reparaturen folgten, das Kernkraftwerk jedoch nach nur zwei Wochen den Betrieb wieder einstellen musste, sei vielen gar nicht mehr wohl gewesen. "Selbst Ältere, die bis dahin für die Atomkraft waren, änderten ihre Meinung."

Auch die Politiker in der Samtgemeinde hatten genug. Einstimmig setzten sie Zeichen gegen die Kernenergie, indem sie nicht nur Resolutionen zur Stilllegung des Kraftwerkes Krümmel verabschiedeten. "2007 waren wir die erste Kommune, die Ökostrom für ihre öffentlichen Gebäude bestellte, und 2008 bauten wir Solaranlagen auf unser Rathausdach."

Doch nun hat sich die Ausgangslage für die Elbmarsch verändert. Weil der Pannenreaktor Krümmel nie wieder ans Netz geht, "verlieren wir endlich einen Klotz am Bein, der unsere Entwicklung bislang hemmte". Vor allem der Ort Tespe könne profitieren, so Roth, weil mit dem Ende des Atomkraftwerks wieder mehr Menschen in die Gemeinde ziehen könnten. "Der Wohnwert ist dort jetzt deutlicher höher, weil von dem Atomkraftwerk kaum noch Gefahr ausgeht."

Tespes Altbürgermeister Karl-Heinz Soetebier erinnert daran, dass die Gemeinde mit Hilfe des Kreises Lüneburg, zu dem sie bis 1972 gehörte, schon während der Planungsphase in den 1970er-Jahren gegen den Bau des Reaktors opponierte. Unter anderem aus Gründen des Hochwasserschutzes. "Wenn auch erfolglos, so haben wir uns aber von Anfang an gegen Krümmel gewehrt", sagt der 88-Jährige, der von 1964 bis 1991 Bürgermeister war.

Das Kraftwerk sei der Gemeinde immer ein Dorn im Auge gewesen. "Weil junge Familien Abstand von Tespe gehalten haben. Sie hatten Angst um ihre Kinder, deshalb wurde unser Ort gemieden." Und jede negative Schlagzeile über die Leukämie in der Elbmarsch und die Pannen im Reaktor hätten weitere Minuspunkte gebracht. "Wir sind froh, dass Krümmel vom Netz ist und hoffen, dass es besser wird", sagt Soetebier. Die Chancen stehen gut. Denn die Nachfrage nach Immobilien in Tespe steige spürbar an, seitdem klar ist, dass das Atomkraftwerk abgeschaltet bleibt, sagt Makler Ulric Gerner aus Geesthacht. "Gerade Familien mit Kindern aus Hamburg kaufen jetzt Häuser. Die Nachfrage besonders nach gebrauchten Immobilien macht sich bereits deutlich bemerkbar", so Gerner.