Die einen wollen Auewälder an der Elbe zurückschneiden, die anderen nicht. Höhere Pegelstände des Flusses sind die Folge.

Adendorf. Dass die Elbe über den Deich laufen wird, daran hegt der pensionierten Wasserbauingenieur Rolf Lack keinen Zweifel. Es bleibt die Frage, wann es soweit ist. "Wenn man sich an die letzten Hochwasser 2002, 2006 und 2011 erinnert, entsteht der Eindruck, dass von Mal zu Mal die Fluten schlimmer geworden sind", sagt Lack. Tatsächlich kletterten die Pegelstände von Flut zu Flut. Zwar hat das Wasser noch keine Deichkrone überspült, doch die 1,5 Meter Pufferzone zwischen Wasserhöchststand und Deichkrone sei bereits zu 50 Prozent angekratzt, so Lack.

"Wenn das so weiter geht, ist die Katastrophe absehbar." Der Schein trügt. Obwohl das Wasser höher steigt, hat die durchlaufende Wassermenge der Elbe zwischen Wittenberge und Lauenburg, in Neu Dachau, Boizenburg und Bleckede abgenommen. "Das kann nur eine Ursache haben: Die Verbuschung und die Deichvorlanderhöhung haben sich negativ entwickelt", so der 67-Jährige. Er war beteiligt am Bau des Elbe-Seiten-Kanals und erlebte am 18. Juli 1976 den Dammbruch des Kanals bei Erbstorf mit. Er arbeitete zwei Jahren beim Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) Lauenburg und leitete bis 2006 das WSA Magdeburg.

Lack legt Zahlen vor: Am 21. August 2002 beispielsweise wurde am Pegel Strombrücke in Magdeburg ein Abfluss von 4070 Kubikmetern Wasser pro Sekunde (m3/sec.) gemessen. Bei den hohen Wasserständen 2006 betrug die Messung 3800 m³/sec., in 2011 waren es 3600 m³/sec. Trotz geringerer Abflüsse registrierten die Behörden in Bleckede steigende Pegelstände: 11,24 Metern in 2002, 11,37 Meter in 2006 und 11,45 Meter in 2011.

Es ist enger geworden im Bett der Elbe. Der Ingenieur schätzt, dass Verbuschung und Sandablagerungen heute gegenüber 2002 einer bis zu 15-prozentigen Einschränkung des Abflussquerschnitts entsprechen. Wie sehr die Elbe versandet und das Wasser im Normalzustand gestiegen ist, lässt sich am Zustand der Buhnen erahnen. Sichtbar geblieben an der Wasseroberfläche ist eine schmale Steinzungen.

Rolf Lack sagt: "Als vor rund 100 Jahren die Buhnen an der Elbe hergestellt wurden, hatte man an der Buhnenwurzel einen Vermessungsstein bodengleich gesetzt. Heute muss man eineinhalb Meter tief graben, um ihn freizulegen." Buhnen dienen zur Flussregelung und dem Uferschutz. Bei der Flussregelung ist der Zweck, eine Verschlickung zu vermeiden, die Wassertiefe zu erhöhen und dadurch eine befahrbare Fahrrinne herzustellen.

Um eine Größenordnung zu erhalten, wie viel Boden seit Setzen der Buhnenwurzelsteine sich in den Deichvorländern abgelagert hat, hat Lack gerechnet: "Bei über 600 Kilometer Elbe von der tschechischen Grenze bis Lauenburg, einem Abstand von drei Kilometern zwischen den Deichen und einer Erhöhung des Vorlandes von einem Meter, sind rund 1,8 Milliarden Kubikmeter Überflutungsraum verloren gegangen."

Allem voran ärgert den Adendorfer die zunehmende Verbuschung. Verantwortlich dafür macht er den Landkreis Lüneburg: "Er vernachlässigt seine Aufgaben." Stefan Bartscht, als Fachdienstleiter für den Bereich Umwelt im Landkreis zuständig, dementiert. "Das gesamte Deichvorland ist Naturschutzgebiet. Dort können wir nur in Absprache mit dem Biosphärenreservat tätig werden."

Jahrelang haben Naturschützer, Landwirte und Behörden gestritten, wie die schnell wachsenden Weiden an der Elbe, vor allem bei Bleckede, in Zaum gehalten werden können. Dann gab es endlich einen Kompromiss, der den alljährlichen Rückschnitt der Bäume auf rund 800 Hektar Deichvorland von Anfang Oktober bis Ende Februar regelt. Für den Großteil der Flächen bestehen aus Naturschutzsicht keine Bedenken.

"Allein 20 Hektar aus dem Biosphärenreservat gelten als prioritärer Lebensraum", so Bartscht. Dort herrschen sensible Vorschriften was den Rückschnitt betrifft. Aus Sicht des Naturschutzes gelten Weichholz- und Hartholz-Auenwälder als besonders bedeutend und sollen nicht angefasst werden.

Sorgen über die zunehmende Verbuschung des Vorlandes und Versandung der Flussrinne macht sich ebenfalls Norbert Thiemann, Geschäftsführer des Artlenburgers Deichverbands: "Das Elbebett ist nicht mehr in der Lage, das Hochwasser abzuführen. Hinzu kommt der überfällige Rückschnitt der Büsche und Bäume."

Der war wegen des Hochwassers zu Jahresbeginn nicht zu bewältigen. "Obwohl eine Pflichtaufgabe für den Hochwasserschutz, war ein separater Schnitt von beispielsweise April bis Juni nicht mehr möglich", so Thiemann. Im Grunde könne nie zurück geschnitten werden, was in einem Jahr nachwachse.