Der Bauernhof funktioniert als geschlossenes System. Die Mitglieder ernähren sich von der hofeigenen Ernte. Vorbild des Konzeptes sind die USA.

Tangsehl. Wenn Jana Zbytowski und Katja Zobel sich zu ihrem wöchentlichen Einkauf aufmachen, packen sie daheim in Scharnebeck als Erstes einen Pappkarton und einen Jutebeutel in ihren Kombi. Plastiktüten aus dem Supermarkt sind seit Monaten nicht mehr auf dem Rücksitz gelandet. Seit Februar holt das Paar die Lebensmittel für die vierköpfige Familie aus Mama, Mama, Kind und Kind vom Hof Tangsehl. Sie sind Teil des Projekts "Solidarische Landwirtschaft" von zurzeit rund 50 Familien.

In den USA als "community supported agriculture" weit verbreitet und auf dem Buschberghof bei Schwarzenbek nach 25 Jahren mittlerweile so etabliert, dass es eine Warteliste gibt, trifft das Konzept auch im Landkreis Lüneburg den Puls der Zeit. Spätestens seit dem gefährlichen EHEC-Erreger, wenn nicht schon seit Dioxin und BSE, wollen viele Verbraucher immer genauer wissen, woher ihre Lebensmittel stammen. Das Bedürfnis erfüllt der Hof für die gesamte Kette der Nahrungsmittelherstellung: Er bietet ein komplett in sich funktionierendes System aus Landwirtschaft und Tierhaltung nach den strengen biologisch-dynamischen Richtlinien des Demeter-Verbands.

Jeden Freitag startet die Familie mit den zwei Zetts zur Tour auf den Bauernhof. Dieses Mal macht sich Jana ausnahmsweise alleine auf den Weg - die Jungs sind noch in der Schule, die Frau noch im Büro. Der Weg führt sie zunächst in Richtung Dahlenburg, kurz vor der Göhrde geht's ein Stück nach Norden - und dann irgendwann nach links ins Niemandsland: ins kleine Örtchen Tangsehl, das neben dem gleichnamigen Hof noch eine jahrhundertealte Wassermühle zu bieten hat.

Ihr Wagen rumpelt über das Kopfsteinpflaster, Jana freut sich jedes Mal, hier zu sein, sagt sie: "Das ist ein Eintauchen in eine andere Welt, ein wunderbarer Start ins Wochenende." Wenn die Jungs mitkommen, dürfen sie die Kühe von der Weide holen helfen und Lulu melken, mit gut 20 Jahren die älteste auf dem Hof. Denn Tangsehl ist auch ein Ort der Pädagogik, regelmäßig machen dort Waldorf-Schüler längere Praktika, und täglich sind die Hofkinder des Waldkindergartens zur Besuch.

Jana trifft auf Arnold Kohlschütter, Pächter des Hofs. Er kommt aus dem Hunsrück und ist über ein paar Umwege in Tangsehl gelandet. 24 Jahre ist das nun schon her. Seit zwei Jahren organisiert er seinen Hof als "Solidarische Landwirtschaft", um besser planen zu können.

Jana, seit Februar Teil der Gemeinschaft, hungert nach einem langen Winter mit Kohl, Rüben und Bete nach Salat und Tomaten. Ersteren gibt's schon, letztere noch nicht. "Aber ich zeige Dir mal, wie weit sie schon sind", sagt Arnold und stapft mit der 37-Jährigen an den Rote-Bete-Beeten vorbei zu den Freiland- und Gewächshaus-Tomaten. "Ihr habt ja Flaschen!", ruft Jana mit strahlenden Augen, als sie die länglichen, noch grünen Früchte entdeckt. "Nicht nur die", antwortet Arnold entspannt, "wir bauen hier 40 Sorten Tomaten an."

Drei Gärtnerinnen bewirtschaften Bete und Gewächshäuser - Dämme ziehen sie per Traktor, der Rest ist Handarbeit. Unterstützung bekommen sie zurzeit von Jessica, 37, die mit ihren beiden Töchtern vor ein paar Wochen in die Wohngemeinschaft des Hofs gezogen ist. Ihren Anteil leistet die Lehrerin derzeit in Arbeit statt Geld, gerade sitzt sie im Gras vor dem Gewächshaus und zwirbelt Heubänder für die Tomatenpflanzen zu Recht. Drinnen hat sie Zucchini gepflanzt.

"Kennt ihr den Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Blüten?", fragt sie die Besucher. Wie bitte? Natürlich nicht. Und Jessica, die sich zwei Jahre in Schweden mit eigenem Gemüseanbau versorgt hat, zieht Arnold und Jana unter die Planen und zeigt ihnen die gelben Blütenblätter. "Wenn darunter nur ein Stängel wächst, ist das eine männliche Blüte. Sie bleibt ohne Frucht. Wenn schon eine schmale Zucchini zu erkennen ist, ist es eine weibliche - mit Frucht." Aha - so ist das also.

Jessica hat aber nicht nur Zucchini, Peperoni und Physalis im Gewächshaus gepflanzt. Sie hat dort auch ein Doppelbett aufgestellt - zum Übernachten für Mitglieder der Solidargemeinschaft. "Irre", findet das Jana und lacht, "romantischer geht's ja wohl kaum."

Zwölf Männer und Frauen arbeiten auf dem Hof, bauen Gemüse und Kartoffeln an, erzeugen Milch und Milchprodukte sowie Fleisch- und Wurstwaren. Ungefähr zehn Schweine und 20 Milchkühe leben zwischen Stall und Weide, jede Kuh gibt rund 4000 Liter im Jahr. Turbokühe aus der Massentierhaltung geben 10 000 Liter. In Tangsehl aber leben Kälber und Mütter zusammen, die Kleinen trinken vom Euter anstatt Milchpulver oder Milchaustauscher - das sind Soja- und Schlachtabfallprodukte. Antibiotika bekommen sie nicht, krank sind sie laut Kohlschütter so gut wie nie.

Auch die Pflanzen wachsen ohne Schädlingsbekämpfer. Der Demeter-Landwirt erklärt das so: "Schädlinge gehen an Pflanzen, die ohnehin schadhaft oder geschwächt sind. Das ist in Ordnung. Die gesunden, starken, guten Pflanzen bleiben für den Menschen übrig." Gleiches gelte auch für Tiere: Kräftige brauchen im Prinzip keine Medikamente. Um stark zu sein, brauchen Tiere aber ausreichend Platz und gutes Futter, und Pflanzen brauchen Zeit. Werden sie zu viel gedüngt, wachsen sie zwar schnell - "sind aber nur mit Wasser aufgedunsen", erklärt der 50-Jährige. In Tangsehl fressen die Kühe im Winter Heu und im Sommer Gras. Sie werden auf dem Hof geboren und geschlachtet - einen Tiertransport erleben sie niemals. "Das Fleisch ist das Beste, das ich jemals in meinem Leben gegessen habe", sagt Jana. "Komplett frei von Stresshormonen - das schmeckt man."

Jana ist mit Arnold mittlerweile in die Gemüsekammer gegangen. "Die Erbsen sind der Hammer", sagt sie und reicht dem Gast eine zum Probieren. "So frische Erbsen gibt es nirgendwo zu kaufen." Anderthalb Stunden dauert der Familien-"Einkauf" inklusive Fahrt - so lange brauchte das Quartett früher auch im Supermarkt. Und als Familie sparen die Zett's rund 100 bis 150 Euro im Monat: an Nebenbei-Käufen, die nicht auf der Liste standen. Und anstehen müssen die vier in Tangsehl auch nirgends. Höchstens einmal selbst mit einem Messer aufs Feld gehen, wenn die Kräuterkörbe in der Gemüsekammer leer sind.