Eine Bankangestellte zeigte Zivilcourage und hielt nach einem Konzert vier Gewalttäter auf. Die wurden jetzt vom Lüneburger Amtsgericht verurteilt

Lüneburg. "Ich habe in dem Moment einfach im Affekt gehandelt", erklärt sich Daniela K.* ihr Verhalten im Nachhinein. "Ohne über den Ernst der Lage nachzudenken", habe sie den Mut gefasst, vier offensichtlich gewaltbereiten Männern entgegenzutreten. Statt zuerst an ihre eigene Sicherheit zu denken, hat die 32-Jährige in der Nacht zum 10. April vorigen Jahres in Lüneburg Zivilcourage gezeigt.

An diesem kalten, windigen Freitagabend hatte sie ein Konzert von Jennifer Rostock in der Diskothek Garage in der Straße Auf der Hude besucht. "Ich bin aus der Tür gekommen und wollte zu meinem Auto gehen", erinnert sich die Bankkauffrau. Ein Jahr später ist sie Zeugin in einem Strafprozess am Amtsgericht.

"Plötzlich hörte ich laute Stimmen." Daniela K. schildert auf dem Zeugenstuhl den Augenblick, in dem sie einen brutalen Angriff auf ein wehrloses Opfer mit ansieht: "Vier Männer standen um einen mitten auf der Straße liegenden, zusammengekauerten Körper herum." Eine Freundin des Gewaltopfers wurde beiseite geschubst. "Ich habe mich dazwischen gestellt und gesagt Jetzt ist Schluss!"

Die Täter flüchteten in Richtung der Straße Vor dem Bardowicker Tore. Doch einen von ihnen hatte die Begleiterin des damals 18 Jahre alten Max wiedererkannt. Die Ermittlungen der Polizei führten im Herbst schließlich zur Festnahme der Brüder Alex und Oleg W. sowie ihrer beiden Freunde Viktor M. und Artjem W.

Mit kahl geschorenen Köpfen sitzen die Vier mehr als ein Jahr nach der Tat auf der Anklagebank in Saal Acht des historischen Gerichtsgebäudes am Ochsenmarkt 3. Sie tragen Ringelpullover beziehungsweise Trainingsjacke, verhalten sich auffällig still und wirken angespannt. Ihre Wortwahl ist auf das Nötigste beschränkt.

Einen ganz anderen Eindruck macht dagegen Fabian Pierre S. Der 20 Jahre alte Auszubildende zum Hotelfachmann aus Buchholz lässt mit einem lauten Knall die Tür ins Schloss fallen und ruft "Tschuldigung" in den Saal. Als er später unter Tränen von der Lüneburger "Horrornacht" berichtet, steht sein Freund Robert H. auf, um ihm ein Taschentuch zu bringen.

"Das ist ja fürsorgend", lautet der trockene Kommentar von Richterin Katrin Lindner. Als sich der Mitzeuge in weißem Hemd, Weste und Krawatte dann ein zweites Mal von der Besucherbank in die Zeugenaussage einschaltet, endet ihre Geduld. "Wir sind hier doch nicht in der Schule", sagt sie, als sich Robert H. meldet, um die Schilderungen zu verbessern.

Andreas Thiele bezeichnet die beiden jungen Männer später als "Lagerzeugen". Der Rechtsanwalt hat mit seiner Verteidigungsstrategie Erfolg. Zwei der Angeklagten wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Denn ihnen konnte nicht nachgewiesen werden, dass sie lügen.

Einer der vier Angreifer soll während der Attacke daneben gestanden haben, ohne zuzuschlagen. Viktor M. und Artjem W. behaupteten jeweils, dieser unbekannte Vierte gewesen zu sein. Zeugin Daniela K. kam zu spät zum Tatort, um den Komplizen einwandfrei zu identifizieren, der nicht geschlagen hat. Und das Opfer Max hatte bereits nach wenigen Sekunden das Bewusstsein verloren.

Gestanden haben den Angriff nur die beiden Brüder. Sie wurden wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Die Freiheitsstrafen von zehn beziehungsweise acht Monaten sind für jeweils drei Jahre auf Bewährung ausgesetzt. Katrin Lindner hatte die Teilgeständnisse als mildernde Umstände gewertet.

"Bei einem zweiten Wiedersehen im Gerichtssaal könnten Sie keine Nachsicht erwarten", appelliert die Richterin an die beiden Verurteilten. "Das Opfer erlitt sehr schwerwiegende Verletzungen und erlebte eine traumatische Situation mit dramatischen Folgen." Abiturient Max leidet seit den heftigen Fußtritten gegen den Kopf immer wieder unter Konzentrationsschwierigkeiten.

Das Gewaltopfer legt während der Urteilsverkündung das Kinn auf die gefalteten Hände vor sich auf den Tisch. Der Verurteilte Alex W. verlässt mit breitbeinigem Gang und säuerlichem Gesichtsausdruck den Gerichtssaal. Unzufrieden wirkt auch Daniela K. "Ich glaube nicht, dass es da viel zu sagen gibt", kommentiert sie.

* Die Namen aller Zeugen und Opfer wurden von der Redaktion geändert.

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Sonja* schießen Tränen in die Augen, wenn sie darüber nachdenkt, was schlimmstenfalls hätte passieren können. Und was wäre gewesen, wenn sie nicht zum Konzert von Jennifer Rostock gegangen wäre? Das fand am Freitag, den 9. April, in der Lüneburger "Garage" statt. "Gegen halb zwei kamen wir heraus", erinnert sich die 16-Jährige. Zusammen mit ihren Freunden Max und Anne geht sie entlang der Außenmauer der Diskothek in der Straße Auf der Hude.

Auf dem Bürgersteig stellten sich ihnen vier junge Männer in den Weg. "Die haben Stress gesucht", sagt Sonja. Denn plötzlich hält sie einer von ihnen fest. Um seiner Freundin beizustehen, geht Max auf den Unbekannten zu und schiebt ihn an der Schulter zur Seite. Er kann nicht mehr viel sagen, bevor ihn unvermittelt eine Faust ins Gesicht trifft. "Danach bekam ich zwei Schläge auf den Hinterkopf", schildert Max die letzten Sekunden, bevor er das Bewusstsein verlor.

"Beim vierten Faustschlag von vorne bin ich zu Boden gegangen." Doch damit haben die vier Täter anscheinend noch nicht genug. Aus einem unfairen Kampf entwickelt sich eine wahre Gewaltorgie. Wie im Rausch treten die Vier auf Max ein. "Wenn die statt Turnschuhen Stiefel getragen hätten, wäre ich vielleicht gestorben", sagt Max. Denn die vier Täter attackieren ihn immer wieder gezielt am Kopf.

Erst als nach etwa einer halben Minute weitere Zeugen in einem Auto vorbeikommen und anhalten, lassen die Schläger von ihrem hilflosen Opfer ab. Dass die unbeteiligten Konzertbesucher nicht weggeschaut haben, hat Max möglicherweise das Leben gerettet. Denn es strömt reichlich Blut aus einer offenen Schürfwunde an der Stirn, aus der aufgeplatzten Lippe, aus der schmerzenden Nase sowie aus dem geschwollenen rechten Auge. "Es tat weh, ihn so zu sehen", beschreibt seine Mutter den Augenblick, als sie das Krankenzimmer betrat. Um halb vier hatte sie das Telefon aus dem Tiefschlaf gerissen.

"Das war wie in einem schlechten Film." Mit großer Angst um ihr Kind macht sie sich auf den Weg ins Städtische Klinikum Lüneburg. Dort hört sie die schreckliche Diagnose: Gehirnerschütterung, Risse in Jochbein und Kiefernhöhle sowie Splitterbrüche in der Augenhöhle.

Inzwischen sind die Schwellungen abgeklungen. Am Donnerstag kam Max aus dem Krankenhaus. Einen Tag später hat der Augenarzt die Fäden gezogen. Der alte Max ist aber noch nicht wieder daheim angekommen in dem Einfamilienhaus in der Lüneburger Innenstadt. "Ich schrecke nachts schweißgebadet aus Albträumen hoch", berichtet der 18-Jährige. "Ich liege dann zusammengekauert im Bett, mit den Händen vorm Gesicht."

In den kommenden Tagen lässt sich Max bei einem Psychologen und einem Neurologen auf mögliche Langzeitfolgen untersuchen. Derzeit leidet sein Kurzzeitgedächtnis noch sehr unter dem tätlichen Angriff. Wenn sich daran nichts ändert, könnte das die Berufsplanung des Zwölftklässlers vom Schulzentrum Oedeme erheblich einschränken.

Als Konsequenz der Schreckensnacht will Max sein Freizeitverhalten ändern. "Ich gehe in Zukunft abends nicht mehr alleine aus dem Haus", sagt er. Außerdem will er besonders gefährliche Orte künftig meiden. Waffen, Pfefferspray oder ein Selbstverteidigungskurs lehnt der 65 Kilogramm schwere und 1,70 Meter große Max dagegen ab: "Ich würde immer wieder genauso reagieren, nur verbal vielleicht etwas offensiver auftreten."

Seine Mutter will jetzt einen Anwalt einschalten, um eine Entschädigung zu erstreiten. Zudem verlangt die 45-Jährige Strafe: "Die Täter sollen Folgen zu spüren bekommen und lernen, dass sie Scheiße gebaut haben, um so etwas nicht zu wiederholen."

Möglicherweise gibt es durchaus Chancen, die Täter zu erwischen. Um die Fahndung der Polizei zu unterstützen, will Sonjas Freundin Anne noch intensiver recherchieren. "Einen von ihnen habe ich nämlich wiedererkannt", sagt sie. Nach Angaben der Polizei flüchteten die Täter in Richtung der Straße Vor dem Bardowicker Tore.

Hinweise von weiteren Zeugen erbitten die Ermittler unter der Telefonnummer 04131/29 23 24.

* Die Namen der drei Opfer wurden von der Redaktion geändert.