Anwalt von Stadtrat Koch geht im Disziplinarverfahren in die Offensive

Lüneburg. Nach monatelangem Stillhalten geht Dr. Max Matthiesen jetzt in die Offensive. Der Anwalt von Lüneburgs Erstem Stadtrat Peter Koch fordert die Mitglieder des Verwaltungsausschusses der Hansestadt auf, das Disziplinarverfahren gegen Koch und zwei weitere Beamte der Verwaltung an sich zu ziehen und Einsicht in seine Stellungnahmen zum Ermittlungsbericht zu nehmen. Laut Matthiesen sind die Politiker einseitig informiert, weil sie die Schriftstücke der Vertretung Kochs bislang nur unvollständig vorgelegt bekommen haben.

Matthiesen selbst kennt sowohl Verwaltung als auch Politik aus langjähriger Berufserfahrung: einerseits als Dezernent im Kreis Hannover, andererseits als CDU-Landtagsabgeordneter und stellvertretender Bürgermeister von Barsinghausen.

Die erste Stellungnahme zu den insgesamt sechs disziplinarrechtlichen Vorwürfen des Oberbürgermeisters Ulrich Mädge (SPD) gegen seinen Stellvertreter hatte der Jurist am 18. Februar eingereicht, die sogenannte "abschließende schriftliche Äußerung" zu dem vorläufigen Bericht des Ermittlungsbeamten in dieser Woche.

Bereits das erste, 29 Seiten umfassende Schriftstück, hätten die Mitglieder des Lüneburger Verwaltungsausschusses nicht zu lesen bekommen, kritisiert Matthiesen. Im Ermittlungsbericht sei die Stellungnahme lediglich "unvollständig und zum Teil unzutreffend" einbezogen worden. Dabei gehe es um "wesentliche Punkte, auch bezogen auf die Verantwortlichkeit des Oberbürgermeisters".

Die zweite, abschließende Stellungnahme, noch einmal 21 Seiten lang, hat Matthiesen jetzt dem Ermittlungsbeamten übergeben. Der habe laut Aussage des Anwalts zwar zugesagt, die Äußerungen eingehend aufzuarbeiten, bevor weitere Verfahrensschritte eingeleitet würden. Matthiesen aber fordert mehr: "Die Mitglieder des Verwaltungsausschusses müssen Einsicht in die Akten nehmen, damit sie eine unvoreingenommene Entscheidung fällen können. Unsere Unterlagen sind zentral für dieses Verfahren, jemand, der sie nicht gelesen hat, ist unvollständig informiert."

Der Verwaltungsausschuss als oberster Dienstherr des Ersten Stadtrats habe die Möglichkeit, die Unterlagen zu sichten - ohne auf darauf zu warten, dass die Verwaltung dem entsprechenden Antrag stattgibt: Er kann sich per einfacher Mehrheit zum Herren des Verfahrens machen.

"Der Verwaltungsausschuss als Führungsgremium der Stadt muss das Verfahren an sich ziehen, damit es eine gerechte Entscheidung gibt", sagt Matthiesen. "Der Oberbürgermeister ist selbst viel zu sehr einbezogen, als dass er eine Entscheidung treffen dürfte."

Dabei argumentiert der Anwalt und Politiker mit möglichen weit reichenden Folgen eines Disziplinarmaßnahme gegen die städtischen Beamten: "Sie wäre eine Missachtung der Motivation und Leistung sämtlicher Mitarbeiter. Das Disziplinarverfahren ist absolut unberechtigt, die Betroffenen fühlen sich verletzt, sie haben ihre Aufgaben und Dienstpflichten in vollem Umfang erfüllt. Es darf davon nichts, nicht einmal ein Kratzer am Ansehen der Personen übrig bleiben." Klar macht Matthiesen schon jetzt, dass er im Falle einer disziplinarischen Maßnahme als Konsequenz aus dem Verfahren bis vor das Oberverwaltungsgericht ziehen werde: "Das geht bis zur letzten Patrone."

Der Verwaltungsausschuss müsse jetzt Verantwortung übernehmen, so Matthiesen, "um Schaden von der Stadt abzuwenden". Es gehe um "das Wohl der Stadt, um Grundsatzfragen". Die Grundsätze des rechtsstaatlichen Verfahrens seien in Gefahr. Zuvor von den Fraktionschefs von SPD und CDU geäußerten Bedenken wegen zu geringer juristischer Kenntnisse der Politiker hält der Anwalt entgegen: Es gehe lediglich um eine Entscheidung des gesunden Menschenverstands und der Moral. "Sie formal umzusetzen, ist wie bei allen Entscheidungen des Verwaltungsausschusses Aufgabe und Pflicht von Oberbürgermeister und Verwaltung."

Wie berichtet, hatten die Fraktionen der Grünen und der Linken bereits Einsicht in die Disziplinarakte beantragt. Dazu sagte Stadtsprecherin Suzanne Moenck gestern der Lüneburger Rundschau: "Der Rat ist zwar oberste Dienstbehörde, aber nicht Disziplinarbehörde. Ratsmitglieder haben daher nicht das Recht, die Disziplinarakte einzusehen. Stellungnahmen sind Bestandteil der Disziplinarakte, nicht der Sachakte." Grundlage seien Niedersächsische Gemeindeordnung und Disziplinarrecht, das Innenministerium habe das bestätigt.