Jugendliche und junge Erwachsene haben wenig Zeit fürs Ehrenamt . Jessica Lengenfelder aus Winsen versteht es als Bereicherung

Winsen. Sie gehört zu einer selten gewordenen Spezies. Jessica Lengenfelder engagiert sich ehrenamtlich. Und das offenbar leidenschaftlich gern. Die 27-Jährige sitzt in ihrer Winsener Wohnung und kramt einen kleinen, handgeschriebenen Zettel hervor. Sie musste sich aufschreiben, für welche Organisationen und Initiativen sie im Laufe ihres noch jungen Lebens bereits tätig war. "Normalerweise erzähle ich kaum jemanden von den ehrenamtlichen Aktivitäten", sagt sie, "für mich ist das eigentlich selbstverständlich".

Bereits mit 15 Jahren betreute Lengenfelder eine kirchliche Kindergruppe in ihrer Heimatstadt Heiligenrode. Im November 2008 wurde sie dann für das Mentoren-Projekt "Balu und Du" aktiv. "Ich habe dort eine Art Patenschaft für ein Kind im Grundschulalter übernommen und es einen Nachmittag pro Woche betreut", erklärt die Referendarin ihre damalige Tätigkeit. Hinzu kamen verschiedene Aktivitäten im Kirchenvorstand ihrer Heimatstadt.

Über die Gründe für ihre Hilfsbereitschaft kann Lengenfelder hingegen nur spekulieren. Sie sei nicht besonders gläubig, sagt die 27-Jährige. Dass sie sich viel in der Kirche engagiert habe, hätte sich eher zufällig ergeben. "Vielleicht ist mir die ehrenamtliche Arbeit in die Wiege gelegt", orakelt die angehende Lehrerin. Schließlich hätten sich auch Vater, Oma und Opa stets für die Gesellschaft eingesetzt.

Dieserart familiär geprägt war es für die 27-Jährige wohl auch selbstverständlich, sich nach ihrem Umzug nach Winsen im vergangenen November eine neue, freiwillige Tätigkeit zu suchen. Lengenfelder wandte sich an den von der Stadt Winsen unterstützten "Treffpunkt Ehrensache". "Dort hat man mir dann vorgeschlagen, dass ich einmal pro Woche eine alten Dame besuchen und ihr ein wenig Gesellschaft leisten könnte", erzählt sie.

Bereits nach dem ersten Treffen mit der 87-Jährigen stand für die Referendarin fest: "Das ist es, was ich in Zukunft machen möchte." Trotz beruflich bedingten Zeitmangels, trotz Hektik und Stress, den der Alltag oft bereithält. "Wenn man wirklich aktiv werden möchte", sagt Lengenfelder, "bekommt man neunzig Minuten Ehrenamt pro Woche auf jeden Fall im Terminkalender untergebracht."

Doch dieser Prämisse scheinen nicht alle jungen Menschen zu folgen. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung sank die Zahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich ehrenamtlich engagieren, zwischen 1999 und 2009 von 37 auf 35 Prozent. Vor allem Schüler und Studierende hätten immer weniger Zeit für freiwillige Tätigkeiten, heißt es in der Untersuchung. Als Ursachen wurden Ganztagsschulen, die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit von neun auf acht Jahre sowie die Umstellung auf das verschulte Bachelor- bzw. Master-Studium benannt.

Argumente, die Jessica Lengenfelder teilweise nachvollziehen kann. "Wenn man wenig Zeit hat, muss man sich genau überlegen, wie man sie am besten nutzten möchte", sagt die 27-Jährige. Gerade deshalb, betont sie, seien ehrenamtliche Tätigkeiten aber auch so wertvoll. "Man lernt viel dazu, wenn man sich freiwillig für die Gesellschaft engagiert", so das Credo der angehenden Grundschul-Pädagogin.

Die 87-jährige Dame, die Lengenfelder nun bereits seit einigen Monaten besucht und der sie vor allem Briefe, Bücher und Zeitungsartikel vorliest, erzähle ihr viele Geschichten aus der eigenen Vergangenheit. "Das ist gelebte Geschichte", sagt Lengenfelder, "spannender, als man im ersten Moment vielleicht vermutet."

Gerade jungen Menschen rät die Referendarin deshalb dazu, eine ehrenamtliche Tätigkeit einfach einmal auszuprobieren. "Man muss ja nicht weitermachen, wenn es einem nicht gefällt", sagt sie. Ehrenamt - das ist für Jessica Lengenfelder nicht nur freiwillige Arbeit. Es ist vielmehr ein Ausgleich zum Berufs- und Alltagsstress. Und davon, ergänzt die 27-Jährige, könne man wirklich nie genug haben.