Uralte Keramikscherben förderten die Arbeiten an der Trasse für die Nordeuropäische Gasleitung zutage

Bütlingen. Den geschulten Augen der Archäologen entgeht an der Baustelle für die Nordeuropäische Erdgasleitung (NEL) nichts. Sie schauen genau hin, sobald Bagger beginnen, die Trasse für die Pipeline auszuheben. Die Wissenschaftler suchen Hinweise auf Relikte aus uralter Zeit. Und manchmal finden sie auch Spuren, wie jetzt in Bütlingen.

Zwei Hände voll Keramikscherben kommen ans Tageslicht. Dazu ist der Erdboden an einigen Stellen dunkel verfärbt. Das Startsignal für die Archäologen - sie übernehmen die Baustelle. Ein Bagger, der eigentlich die 36 Meter breite Trasse auskoffern soll, trägt nun stattdessen den Oberboden ab, damit die Forscher ihrem Befundverdacht nachgehen können.

Sie graben mit Schaufeln rund um die Fundstellen auf der Fußballfeld großen Fläche in der einsamen Feldmark zwischen Bütlingen und Eichholz, legen ein Relief und ein Querschnitt im Boden an, fotografieren und vermessen die Ausgrabungsfelder.

"Die konzentriert auftretenden Keramikfunde deuten auf die Reste einer frühen Siedlung hin", sagt Archäologe Karsten Kablitz von der Grabungsfirma Arcontor aus Wolfenbüttel. Ebenso die Flecken im Boden. Der erste Blick auf die Scherben deutete ihm zufolge zunächst darauf hin, dass sie aus dem hohen Mittelalter im 11. oder 12. Jahrhundert stammen könnten. "Der zweite Eindruck ist jedoch, dass sie auch aus der Bronzezeit um 2000 vor Christus herrühren könnten." Genau können er und seine Kollegen den Fund jedoch bislang noch nicht datieren. Dafür benötigen sie noch viel Zeit und einen intensiven Abgleich mit vergleichbaren und schon bewerteten anderen Überresten aus vergangenen Epochen.

Kablitz glaubt, dass er und die Kollegen Überreste von Siedlungsgruben freilegen. "Doch was genau an dieser Stelle einstmals war, wissen wir nicht. Es könnten Abfall-, Sicker- oder Vorratsgruben gewesen sein." Auch ein Bestattungsfeld will er nicht ausschließen.

"Vielleicht lebten hier Bauern. Denn in der Nähe gab es Gebäude, weil die Elbmarsch schon immer bäuerlich besiedelt war in verschiedenen Formen", sagt er. Dörfer mit einigen Dutzend Einwohnern habe es genauso gegeben wie große Bauernhäuser, sogenannte Langhäuser, in der Jungsteinzeit vor rund 12 000 Jahren. ,,Die neuen Funde werden wohl keine Sensation sein, aber sie sind sehr wichtig für uns, um das Bild über die Frühgeschichte an der Elbe zu verdichten", so Kablitz.

Archäologe Bernd Rasink vom niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege sagt, schon in den 1990er-Jahren seien in Bütlingen interessante Funde gemacht worden wie etwa ein Dolch aus Feuerstein. Ein Prunkstück aus der Zeit von 2000 vor Christus. "Auf den Dünen an dem kleinen Fluss Alte Ilau siedelten damals bereits Menschen", so Rasink. Der Dolch war ihm zufolge ein Kunstgegenstand, ein Zeichen für eine herausragende Stellung in der Dorfgemeinschaft.

Oberhalb der nassen Niederung der Elbe auf den Dünen lasse sich die Besiedlung bis in die slawische Zeit zwischen dem sechsten und achten Jahrhundert nachweisen. "Dort ließen sich die Menschen nieder, weil sie trockene Füße in der feuchten Elbmarsch behielten", so der Archäologe.

Doch auch in den folgenden Jahrhunderten hatte Bütlingen offenbar seinen Reiz als Siedlungsstätte. "Am nördlichen Dorfrand gab es eine Burg, die von einem Graben umgeben war. Erstmals schriftlich erwähnt wurde sie 1531. Doch es gab sicherlich ein Vorgängergebäude", sagt er. Mit geschultem Auge könnten Reste des Burggrabens noch heute im Gelände erspäht werden.

Die neue Fundstelle an der Pipeline-Trasse westlich von Bütlingen passe ins Bild der bisherigen Ausgrabungen im Ort: "Alles liegt auf dem gleichen sandigen Höhenzug." Weitere Relikte vermutet er noch tiefer im Untergrund. "Wenn die Rohrgräben für die Gasleitung ausgehoben werden, dringen die Bagger bis unter die dicke Kleischicht vor, unter der sich vermutlich noch viel ältere Dinge verbergen", sagt Rasink. Er ist gespannt, ob der Pipeline-Bau in der Elbeniederung noch andere Überreste der Menschheitsgeschichte freigibt. Doch das dauert noch. Denn bevor die Gräben ausgehoben werden, wird zunächst die Trasse weiter geformt. Auch schon bald wieder zwischen Bütlingen und Eichholz.

"Wir benötigen für die Ausgrabung nur ein paar Tage", so Archäologe Karsten Kablitz. Dann ist alles erledigt, was für die Aufarbeitung und Dokumentation der Funde von Bütlingen nötig ist. "Die Fundstelle können wir nicht retten. Sie wird mit dem Trassenbau zerstört. Aber wir können sie grafisch rekonstruieren und so für die Nachwelt erhalten", sagt er.

Um weitere archäologische Entdeckungen an der Baustelle für die Pipeline geht es heute bei einer Veranstaltung mit der niedersächsischen Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Johanna Wanka, im Kreismuseum Syke.

In der Einladung heißt es, die Nordeuropäische Erdgasleitung sei als eines der größten Projekte zur Energieversorgung Europas Herausforderung und Chance für die Archäologie, denn die Trasse schneide über 200 Kilometer durch 10 000 Jahre Kulturgeschichte Niedersachsens: "Mit maßgeblicher finanzieller Unterstützung durch die Investoren dokumentieren und bergen unter der Koordination des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege eine Vielzahl von Spezialisten aus Denkmalpflege, Grabungsfirmen und Forschungseinrichtungen Hand in Hand mit den Planern und Erbauern der Pipeline unter großem Zeitdruck die Zeugnisse der Vergangenheit."

Diese gebe es in großer Zahl an bereits bekannten und neu zu entdeckenden Fundstellen. Wie eben in Bütlingen.