Das Johanneum will einen Raum der Stille einrichten. Dafür werden noch Geldgeber gesucht

Lüneburg. Die Spatzen, die sich weit oben, über der Stadt auf dem Dach des Johanneums sonnen und die Aussicht genießen, könnten bald Gesellschaft bekommen. Wenn alles nach Plan läuft, soll im Herbst 2012 ein Raum der Stille Schüler und Lehrer zur Besinnung einladen. Die Idee dazu kam 2007 auf, als sich die Schüler des Abiturkurses Religion am Wettbewerb "Geheiligte Räume" des Religionspädagogischen Institut Loccum teilnahmen und mit ihrem Konzept eines Raum der Stille den ersten Preis gewannen.

Eine Rückzugsmöglichkeit in freundlicher, neutraler Atmosphäre, klingt verlockend im hektischen Schulalltag. Mehr als 1000 Schüler lernen in dem brauen 70er-Bau im Osten der Stadt. Sowohl für Schüler als auch für Lehrer sind Belastung und Leistungsdruck zum Beispiel durch die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren angestiegen. Franziska Ewigleben, die sich derzeit auf das Abitur vorbereitet, sieht in der Einrichtung des Raumes der Stille die Lösung für gleich mehrere Probleme. "Es ist sehr laut in der Schule, in vielen Klassen sind bis zu 30 Schüler. Wer Freistunden in der Pausenhalle verbringt, kann auch nicht abschalten. Im Raum der Stille kann man sich akustisch erholen und in Ruhe nach Nachdenken kommen."

Die Schule als Lernort wurde von der Schule als Lebensort abgelöst. "Die heutige Zeit ist komplex. Einerseits sind alle miteinander vernetzt, es geht alles schneller, effizienter. Andererseits ist da ein Bedürfnis nach Entschleunigung", wagt Schulleiter Jürgen Langlet einen Erklärungsversuch. Dieser Eindruck wird offenbar an unterschiedlichen Orten Deutschlands wahrgenommen. Räume der Stille werden neuerdings überall, so scheint es, gebraucht. Im Bayrischen Landtag gibt es einen, im Hamburger Hauptbahnhof können gestresste Seelen zur Ruhe kommen und sogar in einer der Säulen des Brandenburger Tors in Berlin wurde eine solche Oase eingerichtet. Das Johanneum liegt also im Trend.

"Hätten wir den Raum jetzt schon, würde er ganz sicher häufig genutzt. Die Katastrophe in Japan beschäftigt uns alle", sagt Karin Aulike, die Religion an dem Gymnasium unterrichtet. Die Pädagogin erinnert sich an den Ausbruch des Irakkrieges, der damals Schüler und Lehrer beschäftigt hat. "Überall in der Pausenhalle standen damals Kerzen und Blumen." Auch für die Trauer, um verstorbene Mitschüler und Kollegen gibt es bisher keinen Ort. An sie könnte künftig im Raum der Stille erinnert werden. Aber auch, wer sich einmal nach einer verpatzten Klausur oder vor einem wichtigen Referat zurückziehen möchte, kann den Raum nutzen.

Wichtig ist der Lehrerin, dass der Raum auch Schülern aller Religionen ein Zuhause bietet. An konfessionellen Schulen wird in der Bauplanung die Einrichtung eines solchen Raumes berücksichtigt. An staatlichen Schulen hingegen würde der Bedarf mittlerweile zwar auch erkannt, aber häufig nur vorhandene Räume umgewidmet. "Da wird dann ein Klassenraum genutzt, in dem zum Beispiel die Tafel abgehängt wird", sagt Karin Aulike. Darauf, dass an ihrer Schule ein Raum extra gebaut werden soll, sind alle Beteiligten stolz. "Das ist auch ein Alleinstellungsmerkmal", ist Jürgen Langlet überzeugt.

Dorothee Hohensee, die derzeit die 12. Klasse besucht, weiß genau, wie es in dem Raum nicht aussehen soll. "Sofas gehören da auf keinen Fall rein, das ist der Würde des Raumes nicht angemessen. Die Möbel sollen solide und funktional sein, nicht dekorativ." Die 17-Jährige gehört zu den Schülern, die das Projekt seit einiger Zeit begleitet. Die Aufsicht über den Raum, der an jedem Schultag bis 15 Uhr geöffnet sein soll, wollen die Lehrer in die Hände der Schüler legen. "Das trauen wir ihnen zu", sagt Karin Aulike. Auch Veranstaltungen, die der Würde des Raumes angemessen sind, könnten dort stattfinden. "Meditationskurse, Andachten, Ausstellungen zu bestimmten Themen", zählt Franziska Eigenleben auf.

Mittlerweile hat das Projekt klare Züge angenommen: ein Förderkreis wurde für die Planung, Finanzierung und Begleitung des Baus gegründet, ein Architekturbüro hat die Planungen in einem Entwurf umgesetzt, zu dem die Baubehörde der Stadt die Baugenehmigung bereits erteilt hat. Damit die Konstruktion auch juristisch wasserfest ist, baut der Förderkreis der Schule den Raum und schenkt ihn dann der Stadt. Der Raum, der 64 Quadratmeter groß werden soll, wird der höchste Punkt der Schule sein. Er wird rundum einen freien Blick über die Dächer der Stadt, ins Grüne bieten. Bewegliche Lamellen vor den Fenstern lassen verschiedene Einstellungen, je nach Veranstaltung zu. Mit Hilfe von Nischen soll Intimität entstehen, so dass sie mehrere Menschen zugleich in dem Raum aufhalten können, ohne einander zu stören.

Insgesamt 400 000 Euro hat der Förderverein der Schule, der den Bau realisieren wird, kalkuliert. In der Summe enthalten sind auch die Kosten für die behindertengerechte Ausstattung und den Einbau eines Lifts, erklärt Henriette Goedecke vom Förderverein. Bislang sind durch Spenden bereits 54 000 Euro zusammengekommen. Der Förderverein hofft auf tatkräftige Unterstützung. "Hier haben noch ein paar Aktionen geplant", verspricht Henriette Goedecke.

www.johanneum.eu