Mit der Ausstellung “Sie predigen Wasser und trinken Wein - Kunst in der Krise“ im Heinrich-Heine-Haus regt der Verein Alltagskultur zum Nachdenken an

Lüneburg. Angst. Verzweiflung. Wut. Ja, vor allem Wut ist zu spüren. Darüber, dass es immer nur um Geld geht. Dass der Schwache auf der Strecke bleibt, an den Rand gedrängt wird. Mit ihrer Ausstellung "Sie predigen Wasser und trinken Wein - Kunst in der Krise" im Heinrich-Heine-Haus wollen Künstler aus der Region Lüneburg zum Nachdenken anregen. Das ist gelungen. Mal plakativ, mal subtil prangern die Künstler, zum Großteil Mitglieder des Vereins Alltagskultur, Missstände der wohlfühlorientierten Gesellschaft an, mahnen zum Hingucken.

"Augen zu und durch" heißt beispielsweise ein Werk von Philippe Bulasch. Rasierklingen stecken in den geschlossenen Augen, im Hintergrund Banalitäten wie "das wird schon", "das passt schon". Stimmt - eigentlich ist doch alles supi? Welche Krise denn eigentlich?, fragen viele der Künstler. Die Rüstungsindustrie und die Atomenergie boomen (Didi Dillmann), die Pharmaindustrie macht dank Absprachen mit den Krankenkassen gigantische Umsätze (Installation von Bulasch und Kurt Bader), und das ganze Geheule um die Finanzkrise sei sowieso überflüssig - "Euer Geld ist nicht weg, es ist nur woanders", meint Hans Sendker.

Er kombiniert seine Foto-Collagen mit Texten von Bertrand Russell. Die "übermäßige Macht der Finanzwelt" und der "private Profit, der im Vordergrund steht", werden da angeprangert - hochaktuelle Texte, geschrieben 1935. Gelernt hat die Menschheit seitdem offenbar nichts? "Die Menschheit hat seit 6000 Jahren nichts gelernt", sagt Antje Hoops, ebenfalls von Alltagskultur und ausstellende Künstlerin. Sicher, die Technik habe sich enorm weiterentwickelt. Die soziale und emotionale Intelligenz sind ihrer Meinung dabei aber auf der Strecke geblieben.

"... am Rande" lautet der Titel ihrer Sammlung von Fotos, die sie im Laufe der Jahre geschossen hat. Ein Punkmädchen ist darauf zu sehen, ein älteres Paar, Muslime, Zirkusartisten mit einem Elefanten auf dem Spaziergang durch eine Innenstadt. "Alles Leute, die die Gesellschaft am Rand sieht - oder vielmehr aus Angst an den Rand drängt." Die Fotos stimmen nachdenklich. Unbehagen, gar Übelkeit lösen dagegen Hoops' Zeichnungen aus.

Sie zeigen Kinder, süß und putzig - bis man beim zweiten oder gar erst dritten Blick die Hand auf der Schulter des Jungen entdeckt, die Augenbinde beim Mädchen mit dem Springseil oder den abgerissenen Kopf des Teddybären. Oder das Porträt eines nackten Mädchens beim Baden aus der Sichtweise eines Pädophilen: Die Gesichtszüge verschwimmen, das Geschlecht tritt dafür umso deutlicher hervor. "Die meisten werfen einen Blick darauf und gehen gleich weiter", sagt Hoops, "Nachfragen kommen nie. Wer möchte sich schon mit dem Thema Kindesmissbrauch auseinandersetzen?" Gerade weil die Bildnisse auf den ersten Blick so unschuldig, so bezaubernd aussehen, ist die Wirkung besonders beklemmend.

Es ist eine bunte, vielseitige und unbedingt sehenswerte Schau, die Alltagskultur auf die Beine gestellt hat. Viele der Beiträge sind verstörend, doch nicht alle. Zum nachdenklichen Schmunzeln lädt Bernd Beyers "Zorro-Maschine" ein, und die bunten, teils comicartigen Bilder Jürgen Thenents - darunter auch eine Kopie von Munchs "Schrei", hier "Cry-sis" genannt - gehen das Thema Krise mit einem Augenzwinkern an.

Ein Thema darf selbstverständlich bei einer Ausstellung mit dem Titel "Kunst in der Krise" keinesfalls fehlen: der geplante Verkauf der alten Musikschulgebäude An der Münze. Während die Stadt das historische Gebäudeensemble An der Münze verkaufen möchte, um den Neubau der St. Ursula-Schule und einer neuen Musikschule zu finanzieren, kämpfen viele Mitglieder von Alltagskultur bei der Initiative KIS (Kunst findet Innenstadt) dafür, dass hier ein Kunst- und Kulturzentrum entsteht.

Künstlerisch umgesetzt hat dieses Thema Hans Sendker. "Notverkauf" steht in knalligem Rot auf Plakaten geschrieben, auf denen die Gebäude der Musikschule An der Münze zu sehen sind. "Nur Interessenten mit erstklassiger Bonität erhalten nähere Auskünfte beim Oberbürgermeister der Hansestadt Lüneburg oder bei Satire Immobilien", heißt es da weiter. Wer da an Sallier Immobilien denke, sei selber schuld, meint Sendker. Er glaubt: "Der Deal ist doch schon lange gelaufen." Und: "Wenn die Gebäude wirklich schadstoffbelastet wären, dann dürfte da doch jetzt kein Kind mehr zum Musikunterricht gehen!"

"Ein Unding", findet auch Antje Hoops, denn es mangele unter anderem in Lüneburg an Ausstellungsräumen. Das Heinrich-Heine-Haus eigne sich nur bedingt für solcherlei Aktionen: "Man darf ja noch nicht einmal einen Nagel in die Wand hauen." Außerdem seien die Räumlichkeiten zu klein und die Beleuchtung nicht optimal.

Und doch hat das Ganze etwas Gutes für sich: Aus Heinrich Heines "Wintermärchen" wurde nämlich der Titel der Ausstellung abgeleitet: "Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, ich kenne die Herren Verfasser. Ich weiß, sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser", heißt es in dem berühmten Gedicht. So wurde die Sache rund, und die Ausstellung der Abschluss und der Höhepunkt der Reihe "Globale Krise und lokale Folgen".

Die Ausstellung "Sie predigen Wasser und trinken Wein - Kunst in der Krise" ist noch an den kommenden beiden Wochenenden samstags und sonntags jeweils von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Wer vorher schon einen Blick hinein werfen möchte, hat am heutigen Donnerstagabend im Rahmen von Ulrike Eichingers Vortrag "Soziale Arbeit - zwischen Anpassung und Ausstieg" dazu Gelegenheit. Hier beschäftigt sich die Autorin mit dem neoliberal inspirierten Strukturwandel des Sozialstaats in Deutschland und dessen Auswirkungen unter anderem auf Beschäftigte im sozialen Sektor. Beginn der Veranstaltung im Heinrich-Heine-Haus ist um 19 Uhr, der Eintritt ist kostenlos.