Staatsanwaltschaft wirft ihm Kindesmissbrauch in 151 Fällen vor. Richter wollen Zeugenvernehmungen vermeiden. Fortsetzung am Montag

Lüneburg. Knapp 3000 Einwohner zählt der Ort Neetze zwischen Lüneburg und Bleckede. Einer von ihnen, 70 Jahre alt, muss sich seit gestern vor dem Lüneburger Landgericht verantworten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen, Nötigung und Vergewaltigung in insgesamt 151 Fällen. Der Mann soll sich an seiner Adoptivtochter und weiteren sieben Mädchen vergangen haben. Die ersten der angeklagten Fälle liegen fast 20 Jahre zurück, die letzten noch nicht einmal zwölf Monate.

Regelmäßigen vaginalen Geschlechtsverkehr hat der Mann laut Anklage mit seiner Adoptivtochter gehabt, die dreijährig in die Familie kam. Als es das erste Mal passiert, ist sie 13 Jahre alt. Laut Staatsanwaltschaft drohte der Ziehvater dem Mädchen, es zurück ins Heim zu schicken, würde es sich weigern. Und als sich die Jugendliche mit 17 Jahren stärker wehrt, droht er damit, sie umzubringen. Aufgehört hat ihr Martyrium erst, als die junge Frau 21-jährig daheim auszieht.

Gern hat der Mann Mädchen bei sich zu Gast. Sie kommen nach der Schule. Er macht mit ihnen Hausaufgaben, er sieht mit ihnen fern. Sie baden bei ihm, bleiben oft sogar über Nacht. Laut Anklage missbraucht er jede von ihnen: auf dem Sofa, im Badezimmer, im Bett.

Anja*, zwischen 2004 und 2009 regelmäßig nach der Schule im Hause des Angeklagten zu Besuch, streichelt er laut Staatsanwaltschaft ab Januar 2005 unter ihrer Kleidung, küsst sie und leckt an ihrer Klitoris. Er badet mit ihr und lässt sich dabei von dem Mädchen zum Orgasmus bringen. Mehr als 130 Fälle mit klaren Datumsangaben sind angeklagt, manchmal sieben an einem Tag. Als Anja missbraucht wird, ist sie zwischen sieben und elf Jahre alt.

Annabelle* presst er im Bett von hinten seinen erigierten Penis an den Po und fasst ihr an die Scheide. Heike* gibt er bei ihr zu Hause Nachhilfe, küsst sie und greift ihr zwischen die Beine, da ist sie zwischen neun und zehn Jahre alt. Kerstin* fotografiert er nackt.

Anke* befummelt er, während sie auf seinem Schoß sitzt. Doreen* und Jasmin* führt er seinen Finger in die Scheide und reibt an ihren Kitzlern, da sind die beiden Mädchen noch im Grundschulalter.

Bis ins vergangene Jahr hinein ziehen sich die angeklagten Taten. Sie beginnen 1992 mit der Vergewaltigung der Adoptivtochter. Weitere Fälle sind der Staatsanwaltschaft bekannt, kommen jedoch nicht zur Anklage.

Um die Opfer zu schützen und umfangreiche Zeugenbefragungen zu umgehen, wirbt der Vorsitzende Richter Axel Knaack nach Verlesung der Anklageschrift zum Prozessauftakt gestern darum, das Verfahren ohne Beweisaufnahme zu führen. Nach intensiver Beratung mit Staatsanwaltschaft und Verteidigung sowie den Vertreterinnen und Vertretern der Opfer stellt Knaack nach einem halben Verhandlungstag mit den Berufsrichtern das mögliche Urteil vor. 6,5 Jahre soll der 70 Jahre alte Angeklagte bei einem Geständnis hinter Gitter. Der Staatsanwalt hat acht Jahre gefordert, der Strafverteidiger die Forderung für deutlich überhöht gehalten.

Laut Sachverständigengutachten kommt bei dem Angeklagten weder die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik wegen Pädophilie in Betrachtnoch eine Sicherungsverwahrung nach Verbüßen der Haftstrafe. Er sei nicht von seinem Trieb beherrscht, die Rückfallwahrscheinlichkeit in Anbetracht seines Alters und des Gesundheitszustands gering. Knaack gab den Beteiligten bis Montag, 28. Februar, Zeit für eine Stellungnahme zum Vorschlag der Richter. Die Schöffen müssen ebenfalls noch ihr Urteil sprechen. Um 13 Uhr wird der Prozess in Saal 121 des Landgerichts fortgesetzt.

*Namen von der Redaktion geändert