Frank Jürgens ist Nofallseelsorger bei der Feuerwehr Amelinghausen

Amelinghausen. Der Sonntag im vergangenen Juni war feierlich. Doch das sollte sich schlagartig ändern, als das Handy von Pastor Frank Jürgens klingelte. Er saß mit Jubilaren an der Kaffeetafel zu deren 60-, 65- und 70-jähriger Konfirmation als die Leitstelle der Feuerwehr in Lüneburg den Pastor alarmierte. Jürgens musste die Feier verlassen und zu einem schweren Verkehrsunfall auf der Bundesstraße 209 in Rehrhof mit zwei Toten und drei Schwerverletzten eilen. Den Einsatzkräften bot sich ein Bild des Grauens. Frank Jürgens ist Notfallseelsorger. Bei schweren Unfällen wie dem in Rehrhof wird der Gemeindepastor aus Amelinghausen als psychologische Stütze für Retter und Opfer gerufen.

,,Das Amt ist freiwillig, jedoch ein Teil des Pastorenberufes", sagt Jürgens. Seit Anfang vergangenen Jahres sind der 43-Jährige und seine Frau Claudia (37) Notfallseelsorger im Kirchenkreis Lüneburg. Claudia Jürgens ist Pastorin in Amelinghausen. "Wir kennen berufsbedingt schwierige Situationen, zu denen auch Sterbefälle gehören. Wir haben bei uns in der Kirchengemeinde rund 50 Beerdigungen im Jahr", sagt Frank Jürgens. Er und seine Kollegen seien es daher gewöhnt, seelsorgerische Gespräche zu führen und anderen Menschen Trost zu spenden.

"Das lernen wir auch im Studium während unserer Ausbildung zum Pastor. Unser Rüstzeug bekommen wir aber vor allem durch unsere Berufserfahrung und durch eine kleine Einführung, wie sich Notfallseelsorger bei Einsätzen verhalten sollten." Überdies gebe es spezielle Fortbildungen für Pastoren, die er und seine Frau aber noch nicht durchlaufen haben. "Drei bis vier andere Kollegen haben sich weitergebildet. Wir bisher nicht, weil wir beruflich zu sehr ausgelastet sind."

Die Fäden bei der Notfallseelsorge ziehen die Kirchenkreise. Nach der ICE-Katastrophe in Eschede im Juni 1998 setzte ein Umdenken ein. Die zahlreichen Toten und Schwerverletzten bei dem Unglück ließen viele Einsatzkräfte nicht mehr los. Sie benötigten Beistand und psychologische Betreuung. "Nach schlimmen Einsätzen findet bei der Feuerwehr Amelinghausen eine Nachbesprechung statt, um das Geschehen aufzuarbeiten und zu verarbeiten. Wenn es gewünscht ist, sind wir Notfallseelsorger mit dabei", sagt Frank Jürgens. Denn Feuerwehrleute laufen Gefahr, dass Erlebtes sie krank macht. Auch wenn sie Jürgens Worten zufolge sehr distanziert mit Einsätzen umgehen. Über die Sprache zum Beispiel. "Sie versachlichen, indem sie sich einer Verwaltungssprache bedienen, in der es nur heißt, Einsätze werden abgearbeitet", sagt er. Dennoch können die natürlichen Schutzmechanismen der Seele versagen. "Das kann dann zu schweren psychologischen Erkrankungen bis hin zum Suizid führen."

Pastoren, die im Kirchenkreis Lüneburg als Notfallseelsorger eingesetzt werden, haben eine Woche rund um die Uhr Rufbereitschaft. Sie bekommen ein Notfallhandy mit nach Hause. Zudem einen Koffer mit einer Bibel darin, ein Adressenverzeichnis der Kirchengemeinden, Zuständigkeitsfinder und eine Liste mit wichtigen Telefonnummern sowie eine lila Warnweste für Einsätze bei Unfällen mit der Aufschrift "Seelsorge".

"Es ist so gedacht, dass der Pastor mit dem Notfallhandy die Kollegen informiert, in deren Gemeinde etwas passiert ist, damit sie dort tätig werden können, um etwa Angehörigen Todesnachrichten nach Unfällen oder Verbrechen zu überbringen", so Jürgens. Ist allerdings der zuständige Kollege nicht erreichbar, muss der Notfallseelsorger die Aufgabe selber übernehmen.

Als er an dem unheilvollen Sonntag im Juni vergangenen Jahres zu dem schweren Unfall fuhr, habe er mit gemischten Gefühlen im Auto gesessen. "Ich war aufgeregt. Mit war klar, dass ich schlimme Bilder und viel Leid sehen werde. Aber ich war auch neugierig, wie ich die Aufgabe bewältigen werde", gibt er zu. Offenbar ist es ihm gut gelungen. Denn noch eine Woche danach rief eine Ersthelferin bei ihm an, um mit ihm über die schlimmen Bilder zu reden. "Wir telefonierten fast eine Stunde lang. Das hat der Frau gut getan."

Die Feuerwehr Amelinghausen schwärmt von ihrem Notfallseelsorgerpaar Frank und Claudia Jürgens. Rainer Schütze, Sprecher der Samtgemeindewehr Amelinghausen: "Sie sind unsere Psychologen. Sie genießen unser Vertrauen und sind begehrte Gesprächspartner. Nicht nur als Pastoren, sondern vor allem als Menschen", so Schütze. Sie seien eine wichtige Stütze für die Feuerwehrleute. "Allein zu wissen, dass sie bei Einsätzen anwesend sind, gibt uns mehr Standfestigkeit bei schweren Aufgaben."

Aber auch nach getaner Arbeit. Schütze: "Claudia Jürgens hat jungen Feuerwehrleuten sehr geholfen, grausame Bilder zu verarbeiten." Bei einem Wettrennen voriges Jahr zwischen dem Wetzener Kreisel und Raven raste ein Fahrer mit seinem Auto gegen einen Baum und verbrannte im Fahrzeug. "Der Anblick war schwer zu verkraften", so Schütze. Doch nach dem Gespräch mit der Notfallseelsorgerin sei es für die jungen Brandschützer einfacher gewesen, damit fertig zu werden.