Großvater verging sich an Enkelin. Er stritt die Tat bis zum Schluss ab, zahlte dann das Schmerzensgeld. Entschuldigt hat er sich bei ihr allerdings nie.

Lüneburg/ Bardowick. Es war im Sommer vor 17 Jahren. Die kleine Karen* spielte mit ihren Cousins und Cousinen im Auto ihres Großvaters auf seinem Grundstück in Bardowick. Opa hatte Geburtstag, die ganze Familie war eingeladen. Und Opa wollte lieber mit seiner Enkelin spielen, anstatt an der Kaffeetafel zu sitzen. Doch was der Großvater an diesem Tag unter Spielen verstand, das war kein Spielen. Und dafür hat ihn das Landgericht Lüneburg jetzt zu zehn Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

Als Werner S., damals 57 Jahre alt geworden, während seiner Geburtstagsfeier auf der Rückbank seines Autos mit seiner Enkelin spielen wollte, bedeutete Spielen für den Mann Kuscheln. Und Kuscheln bedeutete, das sieben Jahre alte Mädchen auf seinem Schoß sitzen zu haben, ihr mit der linken Hand um die Taille zu fassen und ihr mit der rechten Hand über die Hose zu streicheln. Dort, wo sich die Beine des Kindes treffen.

15 Jahre später wieder ein Familienfest. Dieses Mal war es Karens Mutter, die ihren Geburtstag feierte. Aus dem Mädchen war eine junge Frau geworden. Eine, die das Vertrauen ihrer Tante genoss. Ihrer Tante, die Karen an diesem Abend von ihrer unglücklichen Kindheit in Bardowick erzählte und von ihrem lieblosen Vater.

Der lieblose Vater der Tante ist der Großvater der jungen Frau. Und die erinnerte sich plötzlich an Momente mit ihrem Opa, in denen Kuscheln kein Kuscheln mehr war, sondern sexueller Missbrauch. Momente, über die sie jahrelang einen Vorhang gehängt hatte. Der Moment auf der Rückbank des Autos und der im Ehebett von Opa und Oma, kurz nachdem die Großmutter verstorben war.

Die Eltern hatten Karen und ihren Bruder zum Großvater gebracht, die drei guckten Boxen im Fernsehen. Karen war acht Jahre alt. Und Opa sagte zu ihr: komm, wir gehen mal hoch. Kuscheln.

Oben im Bett schob der Mann seiner Enkelin die Hand in die Hose und legte ihre Finger auf seinen Penis. Als sie anfing zu weinen, ließ der 57-Jährige ab von der Achtjährigen. Er zog sich wieder an, sie gingen zurück nach unten zum Bruder. Und guckten den Boxkampf weiter.

Hinter einem Vorhang versteckt hatten das Mädchen und die junge Frau ihre Erlebnisse 15 Jahre lang. Bis die Tante von ihrer unglücklichen Kindheit erzählte. Und die Erinnerung hinter dem Vorhang hervor kroch.

Ihre Eltern standen zu ihrer Tochter und rieten ihr, zur Opferhilfe zu gehen. Das tat sie. Und entschloss sich schließlich zur Anzeige.

"Das Wichtigste für die Opfer sexuellen Missbrauchs ist, dass ihnen geglaubt wird", sagt Silke Jaspert, die das Opfer als Nebenklägerin in dem Verfahren vertreten hat.

Das hat das erste Gericht im Fall von Karen nicht getan. Der Angeklagte, 73 Jahre alt, Vater von fünf Kindern und Großvater von mehreren Enkelkindern, hat die Taten stets abgestritten. Nie habe er sich seiner Enkelin sexuell genähert. Sie habe die Vorwürfe frei erfunden - aus Rache dafür, dass er seinen Enkelkindern seit 2008 nicht mehr wie vorher üblich 25 Euro zu Weihnachten und zum Geburtstag schenkte.

Das Amtsgericht glaubte ihm und sprach ihn frei. Das war am 10. Februar 2010. Sechs Tage später legte das Opfer Berufung ein - und zwar ohne, dass sich die Staatsanwaltschaft dem Antrag anschloss. "Sie war so felsenfest sicher", sagt ihre Anwältin Silke Jaspert. Und sie hat gewonnen.

Eine Gutachterin bescheinigte der jungen Frau im Berufungsverfahren, dass ihre Aussage glaubhaft ist. Die Aussage des Angeklagten bezeichnet die Kleine Strafkammer des Landgerichts in ihrer Urteilsbegründung als "widerlegt", das vom Angeklagten angeführte Motiv für eine Falschbelastung "nicht plausibel". Das Landgericht verurteilte den Witwer zu zehn Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Außergerichtlich hat der 73-Jährige außerdem 4000 Euro Schmerzensgeld an seine Enkelin gezahlt. Zwar hatte er nach dem mündlichen Urteil zunächst Revision eingelegt, die nach der schriftlichen Urteilsbegründung jedoch zurückgezogen. Das Urteil ist damit rechtskräftig, der Fall abgeschlossen. Und Karen kann ihr Leben auch mit zurückgezogenem Vorhang weiterleben.

Denn der jungen Frau kam es nicht darauf an, dass ihr Großvater hinter Gitter kommt. Oder sie ein hohes Schmerzensgeld erhält. Sondern darauf, dass man ihre Aussage ernst nimmt. "Was vorher schief war, ist jetzt in Ordnung", formuliert es ihre Opferanwältin.

Vor drei Jahren kam über das Lüneburger Opferhilfebüro das erste Mädchen zu der Juristin, 13 Jahre alt und seit dem siebten Lebensjahr vom Stiefvater missbraucht. Das Verfahren - es ging um mehr als 200 Fälle - ist vor zwei Monaten mit einem Schuldspruch in erster Instanz zu Ende gegangen.

"Ich hatte noch niemals jemanden erlebt, der so eine kaputte Seele hat", erinnert sich Silke Jaspert an das junge Mädchen. Seitdem betreut sie Mädchen und Frauen, die Opfer von Missbrauch geworden sind. "Für sie ist die Strafanzeige die Chance, nein zu sagen", sagt die Anwältin, "aus der Opferrolle herauszutreten und aktiv zu werden."

Auch wenn die Taten fast 17 Jahre zurückliegen: Sie verjähren erst zehn Jahre nach dem 18. Geburtstag des Opfers. Solange die Betroffenen keine 28 Jahre alt sind, können ihre Peiniger verurteilt werden. Wie der Großvater aus Bardowick. Der zwar seine Revision zurückgezogen und ein Schmerzensgeld gezahlt, sich aber niemals bei seiner Enkelin entschuldigt hat.

* Name von der Redaktion geändert.