Hidden Champions, Fior & Gentz aus Lüneburg entwickeln Orthesen und Therapieschuhe für Patienten weltweit

Lüneburg. Für Menschen mit Lähmungen, Kniebeschwerden oder Muskelerkrankungen der Beine sind die Produkte von Fior & Gentz aus Lüneburg oft die letzte Rettung vor dem Rollstuhl. Jörg Fior, der gelernte Orthopädiemechanikmeister und Ralf Gentz, der Orthopädiemechaniker und Maschinenbauingenieur entwickeln feinmechanische Gelenke aus Titan und Stahl, die in sogenannte Orthesen eingebaut werden. Eine Orthesen ist ein medizinisches Hilfsmittel, das eingeschränkt funktionstüchtige Körperteile unterstützt. Sie müssen von einem Arzt verordnet und von Fachleuten gebaut werden.

Als Jörg Fior und Ralf Gentz 1997 ihre Firma gründeten, hatte sich im Prothesenbau längst ein Trend zu High-Tech-Produkten durchgesetzt, während Orthesen als die Stiefkinder der Branche galten. "Sie waren technologisch nicht grundlegend weiterentwickelt worden. Häufig funktionierten sie nicht richtig, was dazu führte, dass Ärzte sie nicht verschrieben und sie bei den Patienten oft in der Ecke standen", erzählt Jörg Fior.

Inzwischen hat sich das Image der Orthesen gebessert. Dazu beigetragen haben die Lüneburger Unternehmer. Mit Hilfe von 50 verschiedenen patentierten Gelenken können die Lüneburger Patienten mit unterschiedlichen Beschwerden weltweit helfen. Maschinenlärm und Produktionshallen sucht man in Lüneburg allerdings vergebens. Hier wird entwickelt, geprüft und montiert, produziert werden die Einzelteile von verschiedenen Auftragnehmern.

Um die Qualität ihrer Produkte zu garantieren, müssen die Orthopädietechniker, die für die betroffenen Patienten die Orthesen mit den patentierten Bauteilen zusammenbauen und anpassen, einen Zertifizierungsseminar bei Fior & Gentz absolvieren. "Da fährt ein Mitarbeiter von uns zu dem Sanitätshaus und begleitet eine Woche lang den Bau der Orthese vom Gipsabdruck bis zur Fertigstellung. Dabei lernen die Techniker alles über die Funktionsweise der Gelenke", erklärt Ralf Gentz.

Mittlerweile ist ihr Konzept nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern erfolgreich. "Die Patienten leben überall und wollen gute Qualität, egal ob in Japan, Spanien, Argentinien oder Norwegen", sagt Jörg Fior. Die weltweite Vernetzung gelingt durch den Besuch von Kongressen und Messen in aller Welt.

Ein anderes Standbein hat sich die Firma mit der Entwicklung von sogenannten Therapieschuhen geschaffen, die zum Beispiel nach Fußoperationen oder offenen Sprunggelenkfrakturen zum Einsatz kommen. Mit 40 verschiedenen Modellen ist Fior & Gentz Marktführer in Deutschland und zählt auch im europaweiten Vergleich zu den erfolgreichsten Wettbewerbern.

In diesem Jahr beträgt der Umsatz 5,7 Millionen Euro, das Unternehmen, das Jörg Fior und Ralf Gentz aufgebaut haben, beschäftigt 30 Mitarbeiter. Die Motivation ist hoch, die Fluktuation niedrig. Einen Grund, warum in den 13 Jahren der Firmengeschichte niemand zur Konkurrenz gewechselt ist, sieht Jörg Fior darin, dass die Mitarbeiter sich mit dem Unternehmen identifizieren. "Jeder ist hier an der Entstehung von neuen Produkten beteiligt. Die Kommunikation zwischen Innen- und Außendienst ist gut, die Jobs relativ zukunftssicher." Dass die Wahl auf Lüneburg fiel, hatte pragmatische Gründe. "Wir haben beide hier gearbeitet, leben hier mit unseren Familien und finden es schön hier", sagt Ralf Gentz und lacht.

Inzwischen ist der Standort in der Stresemannstraße zu eng geworden. Deshalb entschlossen sich die Gründer zu einem Neubau. Im März 2011 soll auf dem Gelände der ehemaligen Standortverwaltung der neue Firmensitz entstehen. Dann soll auch das Lager, das bislang in Embsen untergebracht ist, in den Komplex integriert sein. Außerdem soll eine Lehrwerkstatt angegliedert sein, in der Zertifizierungslehrgänge und Fortbildungen stattfinden sollen.

Zum Schluss erzählen Jörg Fior und Ralf Gentz eine Geschichte die unglaublich klingt und zu Weihnachten passt. Ein Rettungssanitäter, der nach einem Motorradunfall halbseitig gelähmt ist, kann mit Hilfe der in Lüneburg ertüftelten Orthese wieder gehen. Und nicht nur dass: der junge Mann, der aufgrund seiner Behinderung vom Rettungswagen in einen Bürojob gewechselt ist, kann sogar wieder rennen. Als ein Kollege drei Etagen über ihm einen Herzinfarkt erleidet, sprintet der gelernte Sanitäter die Treppen hinauf, reanimiert seinen Kollegen und rettet ihm damit das Leben.