Die Schutzanlagen an Ilmenau, Luhe und Seeve sind marode. In Stöckte stoßen mögliche Lösungen auf Skepsis

Stöckte. Norbert Frank, 55, kann sich noch gut an die große Flutkatastrophe 1962 erinnern. Damals stand das Wasser zwei Finger breit unter der Deichkrone. "Im Winter 1987 hatte ich Angst, dass das Wasser die Häuser zerstört", sagt der Familienvater. Es hatte sich so viel Eis auf der Elbe gebildet, dass das Wasser nicht ablaufen konnte. Wer in Stöckte aufgewachsen ist, hat mit dem Wasser leben gelernt - und mit dem Deich, der das Zuhause vor einer drohenden Flut schützen soll. Nun soll der Stöckter Deich ertüchtigt - und im Zuge dessen an einigen Stellen gegebenenfalls auf fünfeinhalb Meter über Normalnull abgetragen werden.

So steht es in dem aktuellen Rahmenentwurf zum Ausbau und Neubau der Schutzdeiche an der Ilmenau, der Luhe und der Seeve - erstellt vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) in Lüneburg. Ende Oktober wurde dieser Rahmenentwurf in einer Sitzung des Umwelt-Ausschusses der Stadt Winsen vorgestellt. Mehr Sicherheit durch niedrigere Deiche - für viele Stöckter ein Widerspruch.

"Insgesamt wurden 62 Kilometer Deich untersucht und in 14 Abschnitte unterteilt", so Heiko Warnecke vom NLWKN. Der Seevekanaldeich, der Achterdeich und der Stöckter Deich gehören ebenso dazu wie die linke und rechte Seeveverwaltung. Das Ergebnis: Zahlreiche Mängel gefährden die Sicherheit der zu schützenden Gebiete. Gut 20 Jahre werde die Deichertüchtigung in Anspruch nehmen. Gesamtkosten: Rund 87 Millionen Euro, getragen vom Land Niedersachsen.

"Dabei ähneln sich die Mängel in allen untersuchten Bereichen", so Heiko Warnecke: Fehlende Kleiabdeckung, zu steile Deichneigungen, an vielen Stellen gebe es keine Wege, die einen schnellen Zugang zum Deich ermöglichen, und das Deichinnere, der Sandkern, sei zu locker gelegt. Das soll anders werden.

Andreas Neven, 51, schaut aus dem Fenster. Etwa 100 Meter liegen zwischen seinem Haus und dem Deich. Dahinter schlängelt sich die Ilmenau durch die Wiesen. "Wer nicht deichen will, muss weichen - das war schon immer so", sagt der Ortsvorsteher. "Aber uns will nicht in den Kopf, warum der Deich abgetragen werden soll."

Um das zu verstehen, muss man Hunderte von Jahren zurückgehen. "Zum ersten Mal wurde Stöckte im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnt", so Neven. Damals hatten sich Holländer an der Ilmenau angesiedelt. Sie bauten ihre Häuser auf sogenannten Warften, aufgeschüttete Erdhügel. Die erhöhte Lage sollte vor dem Wasser schützen. Sie wurden durch Dämme verbunden - der Deich entstand. Dieser wurde in den letzten Jahrhunderten immer weiter verbessert, erhöht, bis er das Niveau eines sogenannten Hauptdeiches erreicht hatte. "Mit dem Bau des Ilmenausperrwerks in Hoopte 1973, und der Ertüchtigung der Elbdeiche wurde der Stöckter Deich jedoch als Hauptdeich überflüssig", so Heiko Warnecke.

Obwohl aus dem Haupt- ein Schutzdeich wurde, blieb er in seiner Höhe von bis zu sieben Metern erhalten. Im Zuge der anstehenden Aus- und Neubaumaßnahmen, soll er auf eine Höhe von fünfeinhalb Meter über Normalnull verringert werden. Berechnungen haben diesen Wert für Schutzdeiche ergeben. Sie sind das Eine - jahrzehntelang gesammelte Erfahrungen das Andere.

"Mein Haus würde dann höher als der Deich stehen - wo ist da der Schutz?", fragt sich Norbert Frank. Sein Haus liegt genau am Deich, genauer auf einer der Warften, ebenso wie das seines Nachbarn Wilhelm Eckhoff. "Und was ist, wenn die Technik versagt und die Tore des Ilmenausperrwerks nicht schließen?", fragt sich Wilhelm Eckhoff, 72.

Andreas Neven gehe es aber auch um den Erhalt des Dorferscheinungsbildes. "Den Deich dort abtragen, wo Häuser stehen, das wird kaum möglich sein", so der Ortsvorsteher. Also wird er in Abschnitten verlegt werden müssen, hinter die Häuser, näher an die Ilmenau. "Und dann führt er genau durch meinen Hühnerstall", sagt Günter Heide, 67, und zeigt auf die Stelle, an der der neue Deich herführen soll. Jedenfalls wenn es nach dem Modell des Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz geht. "Aber das sind nur vorläufige Berechnungen", so Heiko Warnecke.

Und eine von drei möglichen Lösungen für Stöckte. Die beiden anderen: In den bestehenden Deich eine Spundwand als Dichtung einziehen. Oder das Deichinnere durch eine Betonmischung stabilisieren. Entschieden sei das aber noch nicht. Warnecke: "Jetzt gehen wir in die genauere Planungsphase, bei der wir uns Abschnitt für Abschnitt vornehmen." Wann der Stöckter Deich an die Reihe kommt, könne er noch nicht sagen. Für die Stöckter ist klar: "Wenn es mit der Planung losgeht, wollen wir dabei sein, es geht um unsere Sicherheit."