Ein Spaziergang mit dem Kunstexperten Rik Reinking durch Lüneburgs Altstadt

Lüneburg. Wie es eigentlich ging, das hat er sich selbst so manches Mal gefragt. Wenn er wieder ein Werk gekauft hatte und dachte, "Mist, in drei Wochen wird das abgebucht." Ein Gedanke, den jeder Besitzer einer Kreditkarte kennt. Doch eine bedeutende Kunstsammlung als Normalsterblicher ohne Millionenerbe im Rücken zu gründen, das scheint für den Horizont der Meisten doch unmöglich.

Der Mann, der eiligen Schrittes auf den Lüneburger Rathausplatz zusteuert, wurde als Deutschlands "jüngster Kunstsammler", als "jüngster Großsammler" und als "Jungstar im millionenschweren Kunstgeschäft" apostrophiert. Darunter machten es die Medien eigentlich nicht. Einigen galt der junge Turnschuh-Typ mit den lockigen braunen Haaren als arrogant, bei anderen Galeristen sorgte der Gedanke an ihn, Rik Reinking, für hochgezogene Augenbrauen und spitze Kommentare.

Die Superlative sind Rik Reinkings Sache jedenfalls nicht. Wir sind verabredet zum Spaziergang über den Kunstparcours, den Reinking vor einem Jahr für das Urban Art-Projekt "ARTotale" der Leuphana Universität in Lüneburg mit internationalen Street Art-Künstlern kuratierte. Eine Idee, die Reinking, in Jeans, Wollsakko und einer bräunlichen Daunenjacke darüber, gleich gefällt: "Kunst so nebenbei, beim Spaziergang entdecken."

Der Himmel liegt an diesem Novembermittag wie eine graue Glocke über der Lüneburger Altstadt. Wir biegen rechts in eines der gepflasterten Gässchen und stehen in einem Torbogen vor der Graffiti-Arbeit von Pius Portmann auf einem verwitterten Gemäuer. "Street Art in die historische Altstadt von Lüneburg zu bringen, das ist ein wenig wie die Coladose auf der Barockkommode gewesen." Während wir im klammen Nieselregen die Arbeiten von DAIM, Victor Ash, Herakut oder Ben Eine ablaufen, alles internationale Street Art-Größen, die Reinking in seiner Sammlung vertritt und von denen er wie von seinen Freunden erzählt, sprechen wir über Kunst, das Sammeln, springen von Thema zu Thema - bis uns wieder eine Arbeit der Urban Artists in der Altstadt Lüneburgs unterbricht.

Reinking, der sehr freundlich ist, sagt oft Sätze wie "das interessiert mich nicht", und seine Stimme bekommt dann diesen entschiedeneren Unterton. Manchmal heißt es auch mit Betonung "das interessiert mich". Der Rummel fing für Reinking eigentlich an, als Bundespräsident Horst Köhler ihn zu Deutschlands "100 Köpfen von morgen" zählte. Nach wenigen Schritten ist klar: Auf der Seite dessen, was Rik Reinking definitiv nicht interessiert, stehen der Neid und der Rummel des Kunstbetriebs, das Schielen nach dem Wert eines Kunstwerks, die Kategorisierungen und Labels, der Größenwahn mancher junger Künstler und die Marktstrategien einiger Galeristen, die wahnsinnige Summen für Künstler aufriefen. "Reine Behauptungen", sagt Reinking. Weil er sehr früh auf dem Kunstmarkt anfing, habe er "einiges sehr filterlos erlebt."

Die Geschichte, wie Rik Reinking als 16-jähriger auf dem Heimweg von der Schule in Oldenburg damals sein erstes Werk, ein Selbstbildnis von Horst Janssen erwarb und dann in Raten abstotterte, kann er jedenfalls nicht mehr hören. Zu oft wiederholt. Vieles hat er "authentisch" erlebt, wie die Arroganz eines Galeristen, der vor ihm gar nicht aufblickte und fragte: "Hast du eigentlich eine Ahnung, was meine Zeit kostet?" Mittlerweile hat Rik Reinking, 34, ein gutes Netzwerk auf der Welt und muss sich nicht mehr auf Champagnervernissagen oder mit machtversessenen Galeristen rumtreiben.

Reinking ist liebenswürdig, aufmerksam. Beim Foto vor der Arbeit des Künstlerduos Herakut scheint er mit seiner braunen Jacke fast in der Arbeit in Ockerfarben und gedecktem Grün auf der Hauswand zu verschwinden. Dass es in seiner Wohnung gerade "etwas dekadent aussieht", mit einer Arbeit von Damien Hirst und Richard Prince, verrät er nur widerwillig, um klar zu machen, was ihn interessiert: Kunst in Kontexte zu setzen, einen Dialog zwischen Werken anzustoßen und sie dabei auch zu überprüfen.

Kunst "als Laborfunktion" nennt der Sammler es, wenn man sich wirklich mit den Werken beschäftigt. Man merkt, dass Reinking froh ist, wenn er über die Werke sprechen kann. Seine Sammlung reicht von Konzeptkunst und Minimal-Art über Arbeiten aus dem Umfeld des Fluxus mit Seitenlinien bis hin zur Street Art.

Reinking steht mittlerweile in einem Lüneburger Hinterhof vor einer Wandarbeit des Briten Boxi. "Ich liebe die Kunst", hat Reinking vor ein paar Minuten gesagt. Einige Galeristen versuchten sich mit der Kunst selbst "zu sockeln", wie Reinking sich ausdrückt. Das interessiere ihn nicht. Genau wie der Wert einer Arbeit ihn nicht interessiere, "Qualität spiegelt sich nicht im Preis." Für Reinking hat Kunst eine Art "Tagebuchfunktion", die Werke werden zu Teilen von ihm, geben ihm mit ihren Fragestellungen etwas Persönliches.

Da ihm das Materielle egal ist, sammelt er auch Ideen. Wie die Arbeit des belgischen Künstlers Wim Delvoye: Den Rücken eines Schweizers erhob dieser als Tattoo zum Kunstwerk und Rik kaufte den lebenden Rücken mit Vertrag und allem. Solche subtilen Arbeiten, die Grenzen der Fragen von Besitz und Aneignung berühren, interessieren Reinking und wurden in den Medien schnell zum Skandal stilisiert. Und das Sammeln? Das sei "neurotisch", "zwanghaft", seine "Form der Sucht."

Doch wie hat er es jetzt genau gemacht, so ohne Millionenerbe? Reinking verdient sich "sein Hobby" unter anderem mit der Arbeit als "Läufer" und der entsprechenden Provision. "Das ist wie ein Krimi", sagt er, während wir durch die Lüneburger Gassen zur popart-bunten Graffiti-Arbeit des Künstlers Ben Eine laufen. Menschen, die ein bestimmtes Werk suchen, beauftragen ihn, es für sie zu finden. Er sei viel auf Reisen und entdecke dabei vieles für die eigene Sammlung: Künstler, die er früh und vor den explodierten Marktpreisen kaufen könne. Hinzu kämen die Arbeit als Kurator, Aufträge für Katalogtexte, der klassische Kunstmarkt. Trotzdem bleibt die Finanzierung schwer. "Ich habe auf absolut alles andere verzichtet."

Reinking scheint auf dem eitlen Markt der Kunstsammler, wo die Mitgliedschaft im Golfclub selbstverständlich ist oder reiche Unternehmerfamilien im Hintergrund das Hobby des Sprösslings finanzieren, einzigartig. Entsprechend verschlossen waren die Hamburger Türen für den jungen Sammler, der einigen der herrschenden Familien mit seiner Leidenschaft ein Dorn im Auge gewesen sein muss. "Ich wollte was machen, aber es öffneten sich für mich einfach keine Türen."

Reinking drängt es zu philosophischen Fragen: Die Art, wie Kunstwerke zum Fetisch erhoben und Werte behauptet würden, interessieren ihn. Das habe "fast etwas Ritualartiges". Selbst auf den Sammler und Besitzer gehe diese gewisse Fetischkraft über. Für Reinking ist Kunst auch "Spiel", aber immer mit der gebührenden "Verantwortung". Die Arbeit eines in Vergessenheit geratenen documenta-Künstlers erwarb er und rief den Künstler an, um ihn zu informieren, wo seine Arbeit sei. Schallend gelacht habe der und gefragt, wie alt Reinking denn sei.

Lüneburgs Straßenkunstwerke jedenfalls sind nun ein Jahr alt. Bald wird sich entscheiden, ob sie für immer bleiben - und die Stadt Verantwortung für sie übernehmen will.