Nur zusätzliche Lehrerstunden würden die Situation im Unterricht verbessern, sagt der Leiter der Niedersächsischen Schulinspektion

Lüneburg. Alle Lüneburger Grundschulen sollen Ganztagsschulen werden, fordert die Mehrheit im Lüneburger Rat. Doch wegen der bestehenden Bedingungen seitens des Landes zögern nicht nur zahlreiche Schulgremien, den Schritt zu tun. Auch der Leiter der Niedersächsischen Schulinspektion sowie die Rektorin von Lüneburgs ältester Ganztagsgrundschule können die Forderung der Schulen nach zusätzlichen Lehrerstunden nachvollziehen.

Wie berichtet, bedeutet Ganztagsschule zurzeit: Angebote an zwei Nachmittagen in der Woche - freiwillig und größtenteils durch Vereine. Zusätzliche Lehrerstunden erhalten die Schulen dafür keine.

"Es ist eine wichtige Forderung der Ganztagsschulen, den Tag rhythmisieren zu können", sagte Bert Märkl, Leiter der Schulinspektion, jüngst bei einer Informations- und Diskussionsveranstaltung des Bürgerforums der CDU in Lüneburg. "Das bedeutet, auch am Nachmittag Fachunterricht anzubieten. Das allerdings widerspricht der Idee der offenen Ganztagsschule."

Der ehemalige Leiter eines Gymnasiums berichtete von den Ergebnissen bestehender Ganztagsschulen bei der Schulinspektion: Besser als Halbtagsschulen schnitten sie ab in den Bereichen schuleigener Lehrplan, Schülerberatung, Eltern- und Schülerbeteiligung sowie Qualitätssicherung. Schlechter als Halbtagsschulen waren die Ergebnisse in drei Kategorien, die den Unterricht betreffen.

Märkl: "Der Unterricht ist in Halbtagsschulen signifikant besser." Woran das liege, sei nicht bekannt und nicht untersucht. Ohnehin gebe es in der noch laufenden ersten Runde der Schulinspektion keine spezifischen Qualitätskriterien und -indikatoren für Ganztagsschulen. Der Grund: Als der sogenannte Orientierungsrahmen Schulqualität entwickelt wurde, waren Ganztagsschulen laut Märkl "noch kein wirkliches Thema". Bis 2012 werde es entsprechende Kriterien auch nicht geben, weil die gesamte erste Runde der Inspektion unter denselben Bedingungen ablaufen soll. Und noch fehlen in der Untersuchung allein fast 500 Grundschulen.

Zu den in der Inspektion gewonnenen Erkenntnissen über Ganztagsschulen sagte Märkl: "Ganztagsschule heißt nicht gleich gute Schule, wenn man guten Unterricht damit meint." Um den Unterricht verbessern zu können, ist das Modell offene Ganztagsschule mit Angeboten von Vereinen am Nachmittag nach den Ausführungen des Pädagogen nicht zielführend. Als ehemaliger Schulleiter sagte Märkl: "Wenn Ganztagsschulen guten Unterricht anbieten sollen, müssen sie den Tag rhythmisieren. Dann würde sich auch der Unterricht verbessern. Wenn morgens Pflicht herrscht und ansonsten nur Arbeitsgruppen angeboten werden, ändert sich am Unterricht nichts."

Auch die Leiterin von Lüneburgs ältester Ganztagsgrundschule sieht die Wichtigkeit von Fachunterricht am Nachmittag. Seit 2003 läuft die Anne-Frank-Schule als teilgebundene Ganztagsschule, das heißt mit zwei verpflichtenden und zwei freiwilligen Nachmittagen. Dafür bekommt sie zusätzliche Lehrerstunden. "Zu den aktuellen Ganztagsbedingungen wäre es mir zurzeit als Lehrkraft nicht mehr die möglich, die Beziehungsarbeit zu den Kindern über die normale Unterrichtszeit hinaus aufzubauen und zu stärken", sagte Daniel Tiesing-Neben der Rundschau. "Unsere Stundentafel konnte durch die Lehrerstunden aus dem verpflichtenden Ganztagsbereich verbindlich erweitert werden. Nur so ist es uns möglich, alle Kinder zu erreichen." Freiwillige Angebote, etwa durch Sportvereine, seien zwar ein sinnvoller Beitrag zur Freizeitgestaltung. "Für das Wir-Gefühl und die soziale Integration aller Kinder unserer Schulgemeinschaft würde durch die Freiwilligkeit jedoch zu viel verloren gehen."

Dass andere Kollegen zögern mit der Antragstellung, kann Tiesing-Neben verstehen: "Es bedeutet ein erhebliches Maß an Mehrarbeit." Zusätzliche Stunden für Verwaltung und Koordination gibt es und gab es nicht.

Trotzdem würde die Pädagogin sich "aus Überzeugung" heute wieder für diese Schulform entscheiden, auch zu den aktuellen Bedingungen. Aber: "Es wäre keine Ganztagsschule im eigentlichen Sinne des Wortes mehr, sondern eher eine Halbtagsschule mit einem offenen Freizeitangebot am Nachmittag." Besonders vermissen würde die Schulleiterin die "verbindliche Verzahnung von Vormittags- und Nachmittagsunterricht durch Lehrkräfte". Und: Die Arbeit ist "nicht selten konditionell grenzwertig".