Hans-Jürgen Rogge lebte 20 Jahre an Bord seines Segelbootes “Sagitta“. Nun hat der Lüneburger ein Buch über seine Zeit auf See geschrieben

Lüneburg. Während am späten Abend des 9. Novembers 1989 in Berlin die Mauer fiel, Sektkorken knallten und viele Tausend Menschen das Ende der deutschen Teilung feierten, schaukelte die "Sagitta" auf der Südhalbkugel sanft auf den Wellen des Atlantiks. Weit entfernt vom Ort des geschichtsträchtigen Ereignisses, erfuhr Kapitän Hans-Jürgen Rogge erst Tage später aus dem Radio vom Ende des Kalten Krieges.

Seit vier Jahren lebt der gebürtige Lüneburger, der gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Valerie Klatt zwei Jahrzehnte an Bord einer kleinen Segelyacht verbracht hat, nun endgültig an Land. Nun hat er seine Erinnerungen an seine Zeit auf See in einem Buch festgehalten. Unter dem Titel "Postadresse Südatlantik" beschreibt der Autor in kleinen Episoden Eindrücke von seinen Reisen und Erlebnissen.

Sehnsucht nach fernen Ländern und Abenteuern verspürte der ausgebildete Pädagoge früh. Nachdem er einige Jahre an der Kopernikus-Schule in Lüneburg und dann später in Osnabrück gearbeitet hatte, brachte eine Zeitungsannonce den Stein ins Rollen. In Lüderitz, einer Hafenstadt im heutigen Namibia, wurde ein Sportlehrer gesucht. Rogge bekam den Job, packte ein paar Sachen und ging am 16. Juni 1965 im Hamburger Hafen an Bord eines Stückgutfrachters der deutschen Afrika-Linie.

Die Überfahrt nach Kapstadt dauerte 14 Tage. Dann ging es mit dem Zug weiter. Auf dem Weg nach Lüderitz war er hautnah dabei, als eine riesige Wanderdüne die Gleise blockierte und der Weg für den Zug erst mühsam frei gegraben werden musste. Der Norddeutsche lebte sich schnell im südlichen Afrika ein. In seiner Freizeit unternahm der Naturliebhaber Ausflüge in die Steppen und Wüste Afrikas, beteiligte sich an Safaris und Wanderungen.

Nach dem Wechsel an die deutsche Schule in Windhoek, fasste er den Entschluss, ein Boot zu bauen. "Das habe ich mir vorgenommen, ohne irgendwelche Kenntnisse auf dem Gebiet, aber es hat mir Spaß gemacht", erzählt der gebürtige Norddeutsche mit blitzenden Augen. Drei Jahre lang tüftelte, schraubte, nietete und schweißte er, dann ließ er die knapp 12 Meter lange "Sagitta" zu Wasser. Nebenbei erlernte er Navigation und erwarb ein Kapitänspatent. Seine Position auf dem Meer zu bestimmen, war in den 80er-Jahren, also lange vor der Einführung der satellitengestützten Navigation, nicht so einfach wie heute. Damals mussten Seeleute mit einem Sextanten umgehen können und die Orientierung anhand der Gestirne beherrschen.

Die Jungfernfahrt mit dem Einmastsegler führte ihn von der Küste des heutigen Namibias nach St. Helena. "Es war schon ein bisschen Herzklopfen dabei, denn auf der etwa 1000 Seemeilen langen Reise musste sich das Boot beweisen", erzählt der Kapitän. Die Insel, die fast unerreichbar inmitten des Atlantiks liegt und Napoleon einst als Gefängnis diente, zählt auch heute noch zu den Orten, an die sich Rogge ganz besonders gern erinnert. "Die Mentalität der Bewohner, ihre Freundlichkeit und die ursprüngliche Landschaft waren sehr beeindruckend. Weil die Insel für den Tourismus fast nicht zu erreichen ist, konnten die Menschen einen Lebensstil wie vor hundert Jahren bewahren", erzählt der heute 74-Jährige.

Gemeinsam mit seiner aus Südafrika stammenden Lebensgefährtin kreuzte er 20 Jahre lang auf den Weltmeeren. Bereist haben sie vor allem die westafrikanische und die südamerikanische Küste, aber auch Australien, das Mittelmeer, die Karibik und die Kapverdischen Inseln. Die Route wurde bestimmt von ihrer Neugier und Entdeckerdrang. Orte, die dem Paar besonders gefielen, besuchte es im Laufe der Zeit mehrfach, wie St. Helena oder Sao Tome. Wurde das Geld knapp, heuerten die beiden bei Schulen an, um eine Weile zu unterrichten. "Aber im Grunde liebten wir es, unterwegs zu sein, Neues kennen zu lernen, denn es gibt so viel Interessantes auf der Welt", sagt Hans-Jürgen Rogge, der sich mit dem selbstbestimmten Leben auf seinem Segelboot einen Lebenstraum erfüllt hat.

Ernsthaft krank seien sie in den zwei Jahrzehnten nie gewesen. Nur einmal sei seine Lebensgefährtin so arg von Moskitos zerstochen wurden, dass sie eine Blutvergiftung erlitt. "Da haben wir einen Arzt aufgesucht und Medikamente bekommen. Oft war es nicht so leicht, medizinische Hilfe zu bekommen. Der Zahnarzt ist je nach Standort auch schon mal 4000 Meilen entfernt." Dafür, dass sie von Malaria und anderen Krankheiten verschont geblieben sind, sieht Rogge eine Begründung in der gesunden Ernährung. Auf dem Speiseplan stand viel frischer Fisch, der direkt vom Boot aus geangelt wurde. Bei Landgängen versorgten sich die Segler mit Obst und Gemüse.

Das Leben an Bord beschreibt er als einfach, mitunter fast karg. Flauten wurden genutzt, um in tropischer Umgebung zu lesen und träumen, aber auch zum Schach spielen und Sprachstudium. Außerdem wurde das Boot bei Windstille auf Schäden untersucht und von Muschelbewuchs befreit. Trotz Fahrten bei Sturm, hohem Wellengang und bei der Navigation durch Untiefen, musste der Kapitän nie größere Schäden an Bord reparieren. "Eigentlich ein Wunder", findet der Segler.

In brenzlige Situationen gerieten Hans-Jürgen Rogge und Valerie Klatt häufiger: Meterlange Haie umkreisten das Boot, tobende Stürme und haushohe Wellen brachten es auf dem Ozean zum Tanzen, Sandbänke im Amazonas-Delta türmten sich bei Ebbe auf, aber Angst hatte der Seemann eigentlich nie. "Ich bin den Gefahren stets mit Respekt und Vorsicht begegnet, aber nicht mit Angst. Viele Tiere wie Giftschlangen und Spinnen aus den südlichen Breiten kannte ich durch meine Zeit in Afrika."

Nur einmal schwebten er und seine Freundin in Lebensgefahr - an Land. Sie waren unterwegs in einer vom Bürgerkrieg bedrohten Region, als plötzlich Rebellen den Kleinbus stoppten und alle Mitfahrer zum Aussteigen zwangen. "Wir wurden sofort separiert von den anderen. Ich wusste nicht, woher die Männer, die ihre geladenen Gewehre auf uns gerichtet hielten, kamen und was sie wollten. In dieser Situation habe ich gedacht, wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um", erinnert sich Hans-Jürgen Rogge. Am Ende der Dschungelpiste tauchen jedoch genau in dem Augenblick Regierungssoldaten in Lastwagen auf und die Rebellen verschwanden so schnell im Busch, wie sie gekommen waren.

Erlebnisse wie dieses hat der Lüneburger schon während der Reise im Loggbuch festgehalten. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland, die "Sagitta" wurde vor einige Jahren schweren Herzens verkauft, reifte schließlich die Idee, ein Buch daraus zu machen. "Postadresse Südatlantik" ist in der Buchhandlung Perl und in der Buchhandlung am Markt erhältlich.

Hans-Jürgen Rogge: "Postadresse Südatlantik", cw Nordwest Media Verlag, Grevesmühlen, 18 Euro