Lüneburger Modellprojekt vernetzt Ärzte, Therapeuten und Kliniken mit der Jugendhilfe und Behörden

Lüneburg. Familien und ihren Kindern frühzeitig Hilfe und Unterstützung anzubieten, um riskante Krisenentwicklungen abzuwenden, das ist Ziel des kommunalen Netzwerks "Frühe Hilfen" in Lüneburg. Die Hansestadt ist neben Hannover, Braunschweig und Oldenburg der vierte Standort des Modellprojekts "Koordinierungszentren Kinderschutz - Kommunale Netzwerke Frühe Hilfen".

Gefördert wird das Projekt seit 2008 vom Land Niedersachsen. Noch bis Ende 2011 stellt das Sozialministerium rund 1,7 Millionen Euro für das Projekt zur Verfügung.

"Mit den Netzwerken wollen wir tragfähige und verlässliche Brücken bauen. Anzeichen von mangelnder Versorgung oder anderer Missstände sollen frühzeitig wahrgenommen werden", sagte Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan anlässlich einer Fachkonferenz zum Thema an der Leuphana Universität.

In Lüneburg liegt der Projektschwerpunkt auf dem Ausbau der Kooperation zwischen den Bereichen Gesundheit und Jugendhilfe. Aus der Sicht des Ersten Stadtrats Peter Koch ist Lüneburg als Oberzentrum mit einem großen Klinikum inklusive der Psychiatrie sowie dem ländlich geprägten Umfeld besonders geeignet, um eine solches Netzwerk aufzubauen. "In der Stadt leben die Menschen dicht beieinander, so dass die Akteure schnell und unkompliziert miteinander reden können", sagte der Erste Stadtrat, der zugleich auf Fachdezernent für Soziales in der Stadtverwaltung ist.

Das Netzwerk ist Kommunikationsstelle für eine Vielzahl von Institutionen in der Stadt. Dazu gehören Beratungsstellen, Freien Träger der Jugendhilfe, Jugendämter von Stadt und Landkreis, Gesundheitsamt, Ärzte, Polizei, Justiz, Hebammen und Wohlfahrtsverbände.

Mit dem Lüneburger Ampelmodell lassen sich Warnsignale riskanter kindlicher Entwicklungen früh zu erkennen. "Grün kennzeichnet den Normalzustand.", beschreibt Peter Koch die Ampel. "Eine stabile Beziehung steht im Vordergrund. Da gibt einen ein Vater, der sich mit um die Kinder kümmert sowie ein nachbarschaftliches Netzwerk."

Fehlt dergleichen, kommt beispielsweise ein Drogenmissbrauch seitens der Mutter dazu, springt die Ampel über Gelb auf Rot um. "Es macht Sinn, frühzeitig Hilfe anzubieten", sagte Dr. Erwin Jordan vom projektbegleitenden Institut für soziale Arbeit e.V. mit Sitz in Münster.

Doch nicht immer muss das Kind im Mittelpunkt stehen. Registriert der Hausarzt beispielsweise Misshandlungen an seiner Patientin, so gelte es, schnellstmöglich Angebote anzubieten, so Jordan, damit im schlimmsten Fall nicht auch Kinder in der Familie zu Schaden kämen.

Wie sinnvoll das Netzwerk für die Beschleunigung von Hilfe ist, zeigen erste Auswertungen für Lüneburg und den Landkreis: Von 18 Mitteilungen im Zeitraum von November 2009 bei August 2010 kamen 15 von Kinderärzten, zwei aus der Klink, eine von der Hebamme. Zwölf der gemeldeten Familien kamen aus der Stadt, sechs aus dem Landkreis. Die Melder - Ärzte, Klinik, Hebamme - baten um Unterstützung bei Freien Trägern der Jugendhilfe und den Sozialraumteams, dem Jugendamt, einer Hebamme, bei Ma Donna und der Gemeinschaftsunterkunft Meiserweg.

Im selben Zeitraum wurden 25 Beratungen und Anfragen für das Netzwerk Frühe Hilfen registriert. Bürger interessierten sich, wie Betroffenen Unterstützung erhalten können und wer im Netzwerk Hilfe anbietet.

Nach Erwin Jordans Erfahrungen kann es bei Fällen, in denen die interdisziplinäre Zusammenarbeit ausbleibt, zu riskanten Krisenentwicklungen bei Kindern und Familie kommen, die nicht rechtzeitig bemerkt werden. "Das kann man nicht mit Erlassen erzwingen. Dafür muss es zu einem regelmäßigen Austausch der institutionellen Vertretern kommen, wie es in Lüneburger praktiziert wird", sagt er.

Wie dringend die Entwicklung derartiger Netzwerke ist, zeigt nicht zuletzt die steigende Fallzahl von Kindern und Jugendlichen, die durch Jugendämter in Obhut genommen werden. 2009 waren es bundesweit noch 33 700. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sind das rund 4,5 Prozent mehr als 2008. Gegenüber dem Jahr 2004 beträgt die Steigerungsrate sogar 30 Prozent.

Die Erfolge des landesweiten Projekts sprechen sich herum. Mittlerweile bauen landesweit 19 weitere Jugendämter mit externer Beratung Netzwerke nach dem Vorbild "Frühe Hilfen" auf, darunter Celle, Verden und Cuxhaven.