30 Jahre Lüneburger Frauenhaus. Am Problem Männergewalt hat sich in dieser Zeit nichts geändert

Lüneburg. Männer sind hier nicht erwünscht. Das macht das Venussymbol neben dem großen Holztor auf den ersten Blick unmissverständlich deutlich. Besonders auffällig ist es nicht, das Lüneburger Frauenhaus, das am 9. September sein 30-jähriges Bestehen feiert. Es liegt im Schatten. Obwohl es draußen sonnig ist, dringt nur wenig Licht aus dem dicht bewachsenen Garten in das Beratungszimmer hinein. Die helle Einrichtung wirkt ein wenig zu sehr um Freundlichkeit bemüht. An den Wänden hängen Bilder von starken Frauen, die weichen Sessel versprechen Behaglichkeit. Das große Wandregal ist gut gefüllt - unzählige Bände über Frauenrechte und psychologische Ratgeber stehen. Auf einen Ordner, der dazwischen steht, hat jemand mit Rotstift "Sexueller Missbrauch" geschrieben.

"Dunkel hier", sagt Gudrun Strötges und knipst drei Stehlampen an. In diesem Zimmer sitzen sie also, die schutzbedürftigen Frauen, die sich zurückziehen wollen, aus einem oft gewaltbestimmten Leben. Hier erzählen sie Strötges und ihren drei Kolleginnen von ihren Erlebnissen und Ängsten.

"Wir sind keine Männerhasserinnen", sagt Ute Gailing. "So viel, wie wir in diesem Haus über Männer reden, sind sie sogar meistens irgendwie präsent." Trotzdem, Frauenhäuser seien nach wie vor stigmatisiert, sagt Gailing: "Viele Betroffenen schämen sich für ihr Schicksal. Und Frauenhäuser stellen sie sich dann als dreckig und asozial vor." Überwinden sie allerdings ihre Scheu vor dieser "letzten Instanz" und suchen das Haus auf, sind sie laut Gailing meist positiv überrascht: "Dann bereuen sie es, nicht früher gekommen zu sein."

Die Probleme, die die Frauen ins Frauenhaus treiben, sind vor 30 Jahren wie heute die gleichen: Psychische und physische Gewalt, die ihnen durch Männer angetan wird. Auch die Klientel habe sich nicht verändert, so Strötges: "Zu uns kommen Frauen aus allen Schichten, etwa die Hälfte von ihnen hat einen Migrationshintergrund." Die Vorstellung einer verzweifelten Frau, die nachts an die Pforte klopft, treffe in den meisten Fällen nicht zu. In der Regel rufen die Schutzsuchenden unter der rund um die Uhr besetzten Notrufnummer an.

"Die Frauen werden hier aufgefangen. Sie erhalten Unterstützung im Alltag und finden Schutz", erklärt Sozialpädagogin Stefanie Bahr. Um Bevormundung gehe es dabei aber nicht.

Wendet sich eine Frau an die Einrichtung, machen sich Gailing und ihre Kolleginnen zunächst ein Bild von ihrer Situation. Auch die ökonomische Lage lassen sie dabei nicht unberücksichtigt. Um sie besser schützen zu können, werden Frauen oft an Häuser in anderen Bezirken verwiesen. Gleichzeitig nimmt das Lüneburger Haus auch Frauen aus ganz Deutschland auf.

Die Beratungsarbeit verläuft in Kooperation mit niedergelassenen Therapeuten und Anlaufstellen wie pro familia. Über den Kontakt zu ihren Partnern, zu Familien und Freunden, bestimmen die Bewohnerinnen selbst. Es käme nicht selten vor, dass sie sich trotz der Gewalttaten noch mit ihren Männern träfen. "Wir bewerten nicht, ob richtig oder falsch, die Frauen sollen immer ihre eigenen Entscheidungen treffen.", sagt Ute Gailing. Hauptsache sei, es werde darüber gesprochen.

Das Frauenhaus ist immer ausgelastet, daran hat auch das 2002 verabschiedete Gewaltschutzgesetz nichts geändert. Im Gegenteil, laut Strötges meldeten sich gar noch mehr Frauen: "Durch die öffentliche Diskussion des Themas 'Gewalt gegen Frauen' sind die Berührungsängste zurückgegangen".

Über 15 Betten für Erwachsene und fünf für Kinder verfügt das Lüneburger Haus. Fünf Räume teilen sich die Frauen, Einzelzimmer gibt es nicht. Oft entstünden Freundschaften, die auch über dem Aufenthalt im Frauenhaus hinausgingen. Natürlich gebe es auch schon mal Konflikte, räumt Gailing ein, aber sie habe Hochachtung vor dem toleranten Zusammenleben der Frauen. Die Aufenthaltsdauer ist sehr unterschiedlich. Während manche Frauen nur für ein paar Tage Unterschlupf suchten, blieben andere bis zu einem Jahr im Frauenhaus. Nach dem Aufenthalt gibt es eine Nachbetreuung zur endgültigen Aufarbeitung der erlebten Gewalt.

Viele Frauen kommen eines Tages wieder, weil sie erneut von ihrem Mann oder einem neuen Partner geschlagen wurden. Manche sind schon vier oder fünf Mal zurückgekehrt. "Dann ist das Prinzip Hoffnung fehlgeschlagen.", sagt Strötges bedauernd.

Man müsse allerdings lernen, die Probleme nicht selbst mit nach Hause zu nehmen, räumt die gelernte Kauffrau ein. Das ist natürlich nicht so einfach: "Massive körperliche Gewalt haut mich auch heute noch oft um", gibt Ute Gailing zu.

Die Fachkrankenschwester mit psychiatrischer Zusatzausbildung hat sich seit den Anfängen des Lüneburger Frauenhauses an der Beratung beteiligt. Ehrenamtlich und in Eigeninitiative erarbeiteten Frauen zu Beginn der Achtziger Jahre ein Beratungsangebot, das schon bald regen Zulauf hatte. "Der Bedarf war schon lange da, es fehlten nur die Mittel", erinnert sich Gailing. Dass eine Beratungsstelle nicht ausreichte, dass viele der Frauen ein Dach über dem Kopf dringend benötigten, veranlasste die Gründerinnen dazu, immer wieder in größere Häuser umzuziehen. Die heutige Adresse wurde 1990 bezogen.

Heute finanziert sich das Haus zu 50 Prozent durch das Land, die andere Hälfte bestreiten die Stadt Lüneburg und der Landkreis zu gleichen Teilen. Der darüber hinausgehende Eigenanteil wird vornehmlich durch Spenden gewonnen. "Es wäre schön, großzügiger sein zu können. Nicht mehr so viel Zeit auf den Kampf ums Geld zu verwenden", gibt Gudrun Strötges zu bedenken. Für 2011 steht allerdings eine weitere Kürzung der Landesmittel an. Die Garantie, auch weiterhin bezahlt werden zu können, ist für das vierköpfige Team in weite Ferne gerückt.

Ute Gailing versteht ihre Aufgabe gesellschaftspolitisch. Sie wünscht sich, dass Menschen Gewalt zur Konfliktlösung irgendwann nicht mehr in Betracht ziehen. Bis dahin ist es ein weiter Weg. "Das Haus muss erhalten bleiben.", da sind sie sich einig.

Auf die Frage, was sie zu ihrer Arbeit motiviert, weiß Mitarbeiterin Mira Lambertz spontan eine Antwort: "Das Kinderlachen. Wenn sie nach ein paar Wochen lernen loszulassen und hier ein Stück Zuhause finden, ist das wie eine innere Befreiung."