Insekten in der Stadt sind ein immer häufiger auftretendes Phänomen, sagt Lüneburgs Hornissenbeauftragter. Hier finden sie mehr Nahrung

Lüneburg. Die Tierwelt zieht vom Land in die Stadt: Bienen, Wespen und Hornissen finden auf den Feldern und in den Wäldern kaum noch etwas zu fressen. Also wandern sie dorthin, wo die Menschen sind, wo es Nahrung gibt. Grund für die Futterarmut auf dem Land ist laut Lüneburgs Hornissen-Beauftragtem Frank Thies die Monokultur der Landwirtschaft.

"Aufgrund der Mangelsituation auf dem Lande haben heimische Tiere ihren Weg in die Siedlungen gefunden", sagte Thies der Lüneburger Rundschau. Der 48-Jährige ist ehrenamtlicher Hornissen-Beauftragter in den Landkreisen Lüneburg und Uelzen. Er hält selbst Bienenvölker in Deutsch Evern. Seit Jahren verfolgt der Imker die Entwicklung der Insektenpopulationen in der Region.

Extremes Beispiel sei die Zuckerfabrik in Uelzen: In ihrer Nachbarschaft hat Thies voriges Jahr noch Anfang November Wespen gesehen. Aber auch Gärten, Parks, Balkone und Friedhöfe bieten in den Ortschaften des Landkreises und im Gebiet der Stadt Lüneburg eine Vielfalt an Futter für die Insekten, die die Landschaft außerhalb der besiedelten Flächen nicht mehr in ausreichendem Maß bereithält.

Bienen zum Beispiel können sich laut Thies noch bis Juni von der Linde und der Robinie ernähren, einer eingeschleppten Akazien-Art. "Doch danach herrscht bis zur Heideblüte eine Trachtlücke", sagte Thies. Der Ausweg: Die Imker füttern zu.

Eine Ausnahme bildet die Ilmenau mit ihren feuchten Auen: Dort wachsen und blühen unterschiedliche Pflanzenarten über den gesamten Sommer. Wo es allerdings trocken ist im Landkreis Lüneburg, finden Insekten keine Nahrung. "Typische Beikräuter am Feldrand, wie etwa die Kornblume, werden von den Landwirten weggespritzt", sagte Thies. "Was Stadtmenschen als Natur wahrnehmen, auch der Wald, beherbergt wenig Vielfalt und gibt für Insekten nicht viel her." Es herrsche "Armut auf dem Lande".

Das ziehe die gesamte Tierwelt in die Städte. "Laut einer Feldstudie der Universität Kiel mit einer Erhebung über mehrere Jahre in Hamburg, München, dem Ruhrgebiet und korrespondierenden ländlichen Räumen ist die Artenvielfalt in Städten heute höher als auf dem Land", sagte Thies. "Das gilt für Flora und Fauna." Gerade Kleingärten, aber auch Tiergehege sorgen im urbanen Raum für mehr Varietät bei Tieren und Pflanzen als auf dem Land.

Habe die Amsel vor 200 Jahren noch als scheuer Waldvogel gegolten, den es in Städten nicht gibt, fliegt sie heute durch jeden Garten der Stadt. Waschbären, entkommen aus Pelztierzuchten und ausgewildert, sind nachts unterwegs und plündern Mülleimer in den Dörfern. "Die Tiere sind schlau und wissen, wie man Deckel öffnet", so Thies. "Auch der Mink, ein sibirisches Pelztier, nach dem Zweiten Weltkrieg aus Russland in die ehemalige DDR zur Zucht gebracht, lebt inzwischen in der Region."

Mehr Kontakt zu ehemals als scheu geltenden Wildtieren hat auch Jägerin Rosemarie Broder, die in St. Dionys am Waldrand lebt: "Das Rehwild hält meine Rosen kurz", sagte die Frau des Kreisjägermeisters der Rundschau. "Selbst wenn ich einen Schuh nach dem Reh werfe, geht es höchstens einen Schritt zur Seite." Selbst von den Hunden auf dem Grundstück ließen sich die Tiere "nicht irritieren". Nächstes Jahr wolle sie Gewächse pflanzen, die Rehe nicht mögen.

Selbst Füchse folgen laut Broders Beobachtung den Menschen: "Sie gehen in Richtung Gärten und Müllhalden. Dort finden sie viel zu fressen und haben keine natürlichen Feinde." Milane und Bussarde siedeln sich in der Nähe von Fernstraßen an und fressen das frische Aas. Reiher und Kormorane profitieren derweil von der wirtschaftlichen Entwicklung und werden zum Kulturfolger: Sie ernähren sich zunehmend von Fischen aus Zuchtfarmen.