Das Amtsgericht wirft einem 43-Jährigen Steuerhinterziehung vor

Breitschultrig und braun gebrannt, in klobigen Motorradstiefeln wie ein Cowboy auf dem Weg in den Saloon, durchquert Rico S. den Verhandlungssaal 232 des Lüneburger Amtsgerichts. Das blonde lockige Haar, das dem 43-Jährigen bis an den Gürtel seiner Jeans reicht, ist zu einem Zopf zurückgebunden. Angeklagt ist Rico S. wegen Steuerhinterziehung.

In zwölf Fällen soll er zu wenig Umsatzsteuer gezahlt haben, insgesamt summieren sich die Beträge zu mehr als einer Million Euro, die Rico S. dem Fiskus schuldet. "Dass diese Summe zustande kommt, liegt nur daran, dass das Finanzamt einige meiner Rechnungen, die ich eingereicht habe, nicht anerkannt hat", sagt der gebürtige Göttinger zu den Vorwürfen gegen ihn.

In Celle führte der Angeklagte eine Firma, die sich auf Schrotthandel spezialisiert hatte. "Ich kaufe Schrott, Buntmetalle, alte Batterien und verkaufe das Material weiter an Recyclinghöfe oder Großhändler, die Kontakte zu Hütten haben", beschreibt Rico S. seine übliche Geschäftspraxis.

Von zwei Kunden soll er im Vorjahr mehrere hundert Tonnen Altmetalle gekauft und weiterverkauft haben. Die beiden Männer mit denen er besonders große Deals eingefädelt hatte, sind ebenfalls in der Branche tätig. Sie sollen als Zeugen in dem Prozess gegen Rico S. aussagen, sind aber nicht erschienen.

"Warum haben die beiden denn diese Mengen an Material nicht selbst weiterverkauft? Das ist doch viel lukrativer", will der Richter von Rico S. wissen. "Weil ich die nötigen Kontakte hatte. Celle ist eine Schrotthochburg und ich weiß, wie es in der Branche läuft." Bei der Befragung stellt sich heraus, dass Rico S. weder über eigene Lastwagen, noch über einen Führerschein verfügt. Außerdem, hält der Richter dem Angeklagten vor, sei er als vorbestrafter Betrüger, der zu allem Überfluss noch seine Firma in die Insolvenz manövriert hat, auch nicht vertrauendwürdiger als seine angeblichen Geschäftspartner.

Die Steuerfahnder des Finanzamts Lüneburg hingegen vermuten, dass Rico S. gar kein Unternehmer ist. Schon gar nicht einer, der so ein großes Rad dreht. "Wir gehen davon aus, dass die beschriebenen Mengen niemals geliefert wurden", sagt Freddy K., der beim Finanzamt Lüneburg arbeitet. Als der Richter Polizeiaussagen verliest, die belegen, dass die beiden Geschäftspartner des Angeklagten zugeben, für ihre Unterschrift auf gefälschten Papieren Geld bekommen zu haben, wird es langsam ungemütlich für Rico S., der sich selbst verteidigt.

Obwohl die Beweislast erdrückend ist, weigert sich der Angeklagte ein Geständnis abzulegen, bis der Richter ihm ein Geschäft vorschlägt: Wenn Rico S. zugibt, den fraglichen Schrott weder ge-, noch verkauft zu haben, sondern lediglich für seine Unterschrift auf die Papiere Geld kassiert hat, kommt er noch einmal mit einer Bewährungsstrafe davon. Schlägt er das Angebot aus, nimmt das Finanzamt die Ermittlungen wieder auf und es kommt erneut zum Prozess, mit ungewissem Ausgang.

Rico S., der ganz und gar nicht mehr souverän wirkt, ringt mit sich. Dass es jemandem gelungen ist, ihn aufs Kreuz zu legen, macht ihm sichtbar zu schaffen. Schließlich nimmt er das Angebot an und wird zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt, ausgesetzt zu drei Jahren auf Bewährung.

Für den Richter ist Rico S. nur ein kleiner Fisch. Einer, der wie er nur als Handlanger fungiert, landet häufiger mal im Netz. Das richtig große Geschäft im Schrotthandel machen andere, ist der Richter überzeugt.