Der Künstler hat fünf Jahre am Weltraumbahnhof Baikonur gearbeitet. Heute lebt Igor Frank in Amelinghausen. Besuch in seinem Atelier in Lüneburg.

Lüneburg. Heute ist es die Vergangenheit, die Igor Frank begeistert, früher war er fasziniert von der Zukunft. Alte Gemäuer, Kirchen und historische Fassaden locken den Maler vor allem. Noch vor zehn Jahren arbeitete er sich an Raketen, Flugkapseln und Satelliten ab. In seinem Lüneburger Atelier, das in einem unscheinbaren Zweckbau versteckt liegt, riecht es nach frisch gebrühtem Kaffee, Ölfarben und einem Hauch Terpentin.

Im Moment beschäftigt sich der Künstler mit Spiegelungen. Eine große Kohlestift-Skizze hängt an der Wand. Davor steht die Staffelei, auf der eine Leinwand darauf wartet, die Reflexe, die das Licht der Sonne auf die Wasseroberfläche der Ilmenau zaubert, wiederzugeben. Für Laien sind nur waagerechte Pinselstriche in Grau, Grün, Braun, verschiedenen Blautönen und Weiß erkennbar.

Früh wird sein Talent entdeckt und gefördert. "Mein Vater konnte auch gut zeichnen. Das habe ich als Kind auch probiert", sagt Igor Frank, der 1973 in Tschimkent, in Südkasachstan geboren wurde. Mit zehn Jahren habe er begonnen, sich ernsthaft mit Kunst auseinanderzusetzen. Er besuchte eine Kunstschule für Kinder, in der er einen Grundstock an verschiedenen Techniken lernte.

Die Freude an der Kunst war später auch für seine Studienwahl ausschlaggebend. An einer staatlichen Hochschule in Kasachstan studierte er und beendete seine Ausbildung mit einem Abschluss als Gestalter und Designer.

Dass er Mitte der 90er-Jahre einen Job an dem sagenumwobenen russischen Weltraumbahnhof Baikonur finden würde, hätte Igor Frank nie gedacht. Zu dieser Zeit befand sich Russland in seiner schlimmsten Wirtschaftskrise, viele ehemalige Staatskombinate schlossen, Hunderttausende Angestellte verloren ihre Arbeit. Die Not war groß. Die Zerfallserscheinungen erreichten auch das geheime Kosmodrom. Die strengen Regeln wurden ein wenig gelockert. "Die Türen öffneten sich etwas", sagt Igor Frank, der sich damals auf einen Tipp seiner Cousine in Baikonur bewarb.

Fast drei Tage dauerte die Anreise aus Sibirien, wo Igor Frank seinen Militärdienst abgeleistet hatte, in die kasachische Wüste. Das Leben in der abgeriegelten Stadt war streng reglementiert und entbehrungsreich. "Es herrschten im Winter minus 30 und im Sommer plus 50 Grad, dazu wehte ständig Wind, der den Steppensand mit sich trug", erzählt Igor Frank. Auf dem Stützpunkt lebten etwa 100 000 Menschen, überwiegend Angehörige des Militärs.

Igor Frank hatte es schwer als Gestalter, Restaurator und Designer. Die Militärs interessierten sich nicht besonders für Kunst. "Kunst und Militär, das passt nicht gut zusammen", sagt Igor Frank und schüttelt den Kopf. Lediglich Plakate und Banner konnte der Künstler für Paraden und offizielle Feiertage wie den 8. Mai gestalten. Außerdem hat er eine große Ausstellung vorbereitet, die an einen Unfall auf dem Weltraumbahnhof im Jahr 1960 erinnern sollte, bei dem mehr als 120 Menschen ihr Leben verloren. Eine Langstreckenrakete war damals beim Start explodiert. Der Kreis derjenigen, die einen Blick auf Franks Arbeit werfen konnten, war exklusiv: Nur Bewohner der Stadt, Veteranen der Luftstreitkräfte und ehemalige Kosmonauten durften die Ausstellung sehen. Touristen gab es nicht.

Obwohl er nicht den Spezialkräften angehörte, hat er einige Raketenstarts miterlebt. Auch außerhalb des sieben Kilometer großen Radius der Schutzzone waren die Auswirkungen deutlich zu spüren. "Die Erde bebte, der Lärm stieg langsam an, von einem Zwitschern bis zu ohrenbetäubender Lautstärke. Dann war es totenstill", erinnert sich der Künstler.

Auch ein Ritual der Kosmonauten ist ihm noch deutlich präsent. "Juri Gagarin ist immer vom zweiten Startplatz aus gestartet. Auf dem Weg dorthin nutzen die Kosmonauten immer eine bestimmte Kurve für eine Pinkelpause", sagt Igor Frank und lacht. "Gagarin hatte sich dort auch erleichtert, und er war von seinem Flug wiedergekommen."

Im Jahr 2001 startete von Baikonur aus der erste Weltraumtourist ins All. An den Mediziner Mark Shuttleworth, der ein Jahr später abhob, erinnert sich Igor Frank noch ganz genau. Der Südafrikaner wollte seine Reise ins All für Forschungszwecke nutzen. "Dafür hat er unter anderem hundert weiße Mäuse mitgebracht. Sie wurden auf einer eigens für sie gesperrten Station im Krankenhaus auf den Flug vorbereitet", erzählt Igor Frank. Auch Schafe habe der Weltraumtourist dabei gehabt, die seien aber vom kasachischen Zoll nicht ins Land gelassen worden.

Als Mark Shuttleworth ins All flog, packten Igor Frank und seine Familie die Sachen und verließen Kasachstan in Richtung Deutschland. Mittlerweile hat sich der 39-Jährige in der Kunstszene hier einen Namen gemacht, beteiligt sich an Ausstellungen des Vereins Alltagskultur, gibt Kurse und lehrt an den Volkshochschulen in Lüneburg und Harburg. Den Weltraumbahnhof vermisse er nicht, sagt Igor Frank. Er male "viel lieber Kirchen als Raketen".