Forscher der Leuphana warnen vor Langzeitfolgen von Atomkatastrophen

Lüneburg. Die Langzeitschäden für die betroffenen Ökosysteme dauern nach atomaren Katastrophen vermutlich länger an und sind auch größer als bisher angenommen - das haben Forschungen an der Leuphana Universität ergeben.

Das Forscherteam um den Lüneburger Professor Henrik von Wehrden stützt sich bei dieser Aussage auf die Auswertung von mehr als 500 Studien über die Auswirkungen des Super GAU von Tschernobyl. In der Ukraine war vor 25 Jahren bei der Simulation eines Stromausfalls die Explosion eines Reaktors ausgelöst worden.

25 Jahre sind seit diesem bislang gravierendsten Atomunglück vergangen. Noch immer sind in Südengland einige Wiesen für die Viehhaltung gesperrt, noch immer dürfen in Finnland mancherorts keine Fische gezüchtet werden. "Wir haben 521 Studien aus ganz Europa ausgewertet", sagt Studienleiter von Wehrden. "Sie zeigen, dass die Folgen von Tschernobyl noch längst nicht ausgestanden sind."

Die Langlebigkeit der Radionuklide, die bei dem Super-GAU 1986 freigesetzt wurden, sorgt auch heute für erhöhte Strahlenbelastungen: Im Jahr 2009 wurden in südschwedischen Pilzen Werte von 180 000 Becquerel pro Kilogramm gemessen, der zulässige Grenzwert in Deutschland liegt für Nahrungsmittel bei 600 Becquerel pro Kilogramm. Selbst in 2000 Kilometern Entfernung vom Unglücksort gibt es noch zum Teil erhebliche Strahlenbelastungen; in Deutschland beispielsweise haben Forscher 2009 stark erhöhte Werte in Wildfleisch festgestellt.

"Es hat sich gezeigt, dass selbst geringe Strahlendosen Pflanzen und Tiere schädigen können", sagt Professor von Wehrden. "Wir wissen heute etwa, dass Ratten ihr Schlafverhalten ändern, wenn sie radioaktives Wasser trinken - und das schon bei einer Belastung von 400 Becquerel pro Liter. Und in Zwiebeln hat man bei ähnlichen Strahlendosen Chromosomen-Schädigungen festgestellt."

Zusammen mit seinen Co-Autoren mahnt er an, Lehren aus Tschernobyl zu ziehen. Das gelte für Politik und Forschung. "Wir müssen uns besser koordinieren, um Erkenntnisse über die langfristige Wirkung von Strahlung auf komplexe Ökosysteme zu gewinnen", sagt er. "Auch in Zukunft werden auf unserem Planeten vermutlich viele neue Atom-Kraftwerke gebaut. Die Politik muss hierbei aber auch die möglichen Risiken für die Umwelt berücksichtigen, die wir bisher kaum kennen", meint von Wehrden.