Beim Workshop der Lebenshilfe üben Menschen mit Handicap für Auftritte mit Lüneburger Grundschülern. Konzert am 17. März in St. Nicicolai.

Lüneburg. Irgendjemand hat wieder dazwischengesungen, als eigentlich die Pause kommen sollte. Streng blickt Janice Harrington in die Ecke, aus der der falsche Einsatz kam. "Wir wollen die Leute fordern. Wir müssen ihnen ganz klar sagen, wo es langgeht, nur so können wir Erfolgserlebnisse schaffen", sagt sie später.

Doch erst mal weicht der strenge Blick einem wohlwollenden Grinsen. Das erleichterte Aufatmen der Sänger ist im ganzen Raum zu hören. "Also noch einmal", ruft Dylan Vaughn, er begleitet den Gesangskursus auf der Gitarre. "Ihr müsst auf die Pausen achten. Wir gehen den Text noch einmal durch, sprecht mir nach: "Down by the riverside." Die Antwort der rund 40 Sänger klingt wie aus einem Mund.

Ein paar Tage haben sie noch Zeit, sich auf ihren großen Auftritt am Sonnabend in der St. Nicolaikirche vorzubereiten. Dann wollen die Teilnehmer des Gospelworkshops bei der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg mit Janice Harrington und Schülern aus drei Lüneburger Grundschulen zeigen, was sie in den knapp zwei Wochen gelernt haben.

+++ Konzerte in St. Nicolai +++

Am Anfang jeden Treffens stehen Lockerungsübungen. Alle schütteln die Arme und Beine aus, klopfen sich auf die Brust und aneinander auf den Rücken. Dann verteilen sie sich im Raum und üben Tanzbewegungen. Twist, Swing oder einfach nur den Körper rekeln wie in der Disco. Alles ist erlaubt. Hauptsache, es wird sich bewegt. "Die Bewegung ist ganz wichtig fürs Singen", sagt Janice Harrington. "Gesang ist eine Erfahrung mit dem ganzen Körper."

Kulturaustausch mit Musik ist die Mission von Janice Harrington und Dylan Vaughn. Seit sechs Jahren vertreten die US-Amerikaner ihr Land in kulturellen Angelegenheiten. "Wir haben in Bulgarien im Fernsehen gespielt, danach sprachen uns Leute überall an. Die sind total musikverrückt da", sagt Dylan Vaughn. Für das amerikanische Außenministerium waren sie auch in Israel und haben Gospellieder mit Menschen im Westjordanland gesungen.

Das Projekt bei der Lebenshilfe hat noch andere Ziele. Es geht darum, das Selbstwertgefühl der Menschen zu steigern. Janice Harrington sagt: "Beim Kursus in der Grundschule erlebten wir überhaupt keinen Widerstand. Die Kinder wollten zeigen, was sie können. Hier hören wir dagegen oft: Ich kann das nicht. Meistens ist das aber nicht wahr. Wir fordern die Leute auf, sich zu trauen. Der Erfolg beim gemeinsamen Singen kommt dann von ganz allein."

Das Konzept scheint aufzugehen. Auch nach den ersten Seminartagen erscheinen immer noch neue Gesichter zu den Übungstreffen, Bernd Kroh hat zum Beispiel aus der Holzarbeitsgruppe rübergewechselt. "Ich singe sehr gern", sagt er. Nur wenige Teilnehmer haben wieder aufgegeben. "Das ist wirklich toll und freut uns", sagt Dylan Vaughn. Besonders, weil es einige Bedingungen gebe. "Wir wollen die uneingeschränkte Aufmerksamkeit für 90 Minuten, ohne dass dazwischen geredet wird, nur so können wir effektiv zusammenarbeiten. Wir wollen auch nicht, dass die Leute Zettel benutzen. Sie sollen die Texte auswendig lernen. Das ist für manche eine große Herausforderung."

Es gibt aber auch Momente zum Verschnaufen zwischen den Liedern. Zum Beispiel dann, wenn Janice Harrington eine kleine Kostprobe ihrer atemberaubenden Stimme gibt und ein neues Lied vorsingt. Besonders still ist es, wenn Vollblutmusiker Dylan Vaughn in echter Bluesmanier Geschichten über die Lieder der Sklaven auf den Baumwollfeldern erzählt. Dann hängen alle an seinen Lippen und lauschen dem Wispern seiner Gitarre.

Dass die Verständigung zum großen Teil auf Englisch funktioniert, scheint kein Problem zu sein. Sängerin Bianca sagt: "Dylan erklärt ja auch ein bisschen was auf Deutsch und vieles verstehe ich durch Zeichensprache." Für Lebenshilfe-Geschäftsführer Ernst-Albrecht von Moreau ist Musik die universelle Sprache. "Einige der Menschen hier können sich nicht so gut ausdrücken und haben Hemmungen zu sprechen. Das Erleben der eigenen Stimme steht deshalb im Mittelpunkt des Kurses."

Wenn die 40 Sänger der Lebenshilfe am kommenden Sonnabend zum ersten Mal mit knapp 700 Schülern in St. Nicolai auftreten, wird das eine spannende Erfahrung für alle Beteiligten. Janice Harrington versteht das Projekt auch als Konzept für Toleranz. "Die Schüler haben mit einer farbigen Frau, die dazu auch noch wenig Deutsch spricht, unbekannte Lieder einstudiert. Diese werden sie mit Menschen vortragen, die zum Teil sehr anders sind, als sie selber. Das ist gelebte Inklusion."