Das Landesmuseum beschäftigt als einzige Kultureinrichtung Lüneburgs eine Frau mit Handicap. Die neuen Kollegen sind begeistert.

Lüneburg. Seit beinahe 28 Jahren arbeitet Martina Hinrichs im Servicebereich der Lebenshilfe. Nimmt Anrufe entgegen, begrüßt Besucher, frankiert Briefe, macht Kopien. Seit einem halben Jahr hat die 47-Jährige Abwechslung im Alltag: An zwei Tagen pro Woche fährt sie mit dem Bus nach Lüneburg und arbeitet im Ostpreußischen Landesmuseum. Das ist Lüneburgs einzige Kultureinrichtung, die einen Menschen mit einem Handicap beschäftigt.

Rund 750 Menschen arbeiten in den Werkstätten der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg, im Bereich von Stadt und Landkreis gibt es 17 sogenannte ausgelagerte Arbeitsplätze. Das sind Arbeitsplätze wie der von Martina Hinrichs. Die an den ausgelagerten Arbeitsplätzen tätigen Frauen und Männer sind weiterhin bei der Lebenshilfe beschäftigt, arbeiten jedoch bei anderen Einrichtungen oder Firmen. Die wiederum zahlen an die gemeinnützige GmbH ein Honorar. "Wir kaufen quasi eine Dienstleistung ein", erklärt die Verwaltungsleiterin des Ostpreußischen Landesmuseums, Roswitha Hentschel, 49.

Was so einfach klingt, ist es aber nicht. Zwei Jahre liegen die ersten Ideen der Verwaltungsfachfrau in diese Richtung zurück, seinerzeit hat Roswitha Hentschel bei großen Hamburger Museen und am Freilichtmuseum am Kiekeberg hospitiert und erlebt: Die Häuser beschäftigten Menschen mit Handicap. Und sie dachte: "Was die können, können wir auch."

Selbst Mutter eines behinderten Sohnes, fehlen ihr Berührungsängste, die manch anderer erst einmal hat. Sie überzeugte Museumsdirektor Joachim Mähnert von ihrem Plan, und der Stiftungsrat stimmte sofort zu. Rund ein Jahr zurück liegt die erste Kontaktaufnahme zur Lebenshilfe, und im August vergangenen Jahres schließlich stand die erste Praktikantin von der Lebenshilfe vor der Tür des Hauses Ritterstraße 10. Es war Martina Hinrichs.

Rund zwei bis drei Monate dauert üblicherweise ein Praktikum, die Vorstufe eines ausgelagerten Arbeitsplatzes. Martina Hinrichs verlängerte bis Ende des Jahres, und seit Anfang 2012 arbeitet sie als Teilzeitkraft jeden Dienstag und Mittwoch im Museum anstatt im Büro. Kümmert sich gemeinsam mit Hanna Bentlage, 53, um Eingangsbereich und Kasse, bereitet die Veranstaltungen der Reihe "Museum erleben" mit Kaffee und Keksen für Senioren vor. "Sie kann sehr gut mit älteren Besuchern umgehen", sagt Kollegin Hanna Bentlage, "weil sie ein so freundliches Wesen hat."

Martina Hinrichs hat auch schon eine Gruppe der Lebenshilfe durchs Museum geführt und ihnen die Herkunft des Bernsteins erklärt. Ein Lieblingsausstellungsstück hat die neue Museumsmitarbeiterin nicht. "Eigentlich alles", antwortet sie auf die Frage, was ihr besonders gefällt. Doch wenn sie noch mal ganz genau überlegt, kommt sie auf Elche - und auf Bernstein, denn ein aus dem fossilen Harz gefertigtes Armband trägt sie selbst.

Gern würde Roswitha Hentschel die neue Kraft fünf Tage die Woche beschäftigen, doch das geht nicht - die Wirtschaftpläne der von Bund und Land geförderten Einrichtung muss sie jeweils zwei Jahre im Voraus erstellen, und für 2012 und 2013 sind die Personalkosten schlicht nicht im Budget enthalten.

Ab 2014 aber kann Martina Hinrichs komplett vom Vrestorfer Weg in die Ritterstraße wechseln. Die Kosten von rund 500 Euro im Monat stehen schon jetzt im Wirtschaftsplan. Und sobald Roswitha Hentschel Sponsoren findet, stellt sie die 47-Jährige früher für mehr Tage ein. "Denn sie ist eine große Unterstützung."

Die Neue kommt gut zurecht an ihrem neuen Arbeitsplatz. "Sie hat gute Erfahrungen in der Werkstatt gemacht", sagt Frank Lüdemann, 47, Sozialpädagoge bei der Lebenshilfe. "Das ist ja auch ein Ziel und eine Verpflichtung der Werkstätten: die Menschen für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu qualifizieren."

Und sie bietet den langjährigen Mitarbeitern einen unverstellten Blick auf ihr Museum, den sie selbst schon lange nicht mehr haben. "Wir können von den Menschen mit Handicap ganz viel lernen, und es ist so wichtig, Barrierefreiheit einzurichten", sagt Roswitha Hentschel aus eigener Erfahrung. Aber: "Es ist auch sehr schwer." Bereits die Begleittexte bei den Ausstellungsstücken - kein Mensch mit einer Behinderung versteht sie, Hentschel hätte es daher gern, wenn es eine Übersetzung in leichte Sprache gäbe.

Zwei Veränderungen gibt es schon, seit Martina Hinrichs im Museum arbeitet: Am Fahrstuhl stehen nicht mehr nur die für Besucher kryptisch anmutenden Abkürzungen wie "KG 1" und "D 3", sondern eine Liste neben den Knöpfen klärt darüber auf, dass sich im "KG 1" das Magazin befindet und im "D 3" die Verwaltung. Auch die Bedienungsanleitung für den Beamer ist neuerdings viel einfacher gehalten. "Jetzt verstehe ich die auch endlich", sagt Roswitha Hentschel und lacht.

Die Verwaltungsleiterin ist froh, dass sie ihre Idee im Ostpreußischen Landesmuseum umsetzen konnte. Denn: "Wer soll für Integration und Barrierefreiheit sorgen, wenn wir es nicht machen, die öffentliche Hand?" Museumsleiter Mähnert ist ganz d'accord: "Ich sehe das Museum in einer gesellschaftlichen Verantwortung. Wir wollen Menschen mit Handicap als einen natürlichen Teil der Gesellschaft verstanden wissen." In den Werkstätten bewegten sie sich schließlich außerhalb der Wahrnehmung der meisten anderen. "Wir möchten Unsicherheiten nehmen und eine Vorreiterrolle besetzen: zeigen, dass es geht."

Weil es so gut klappt mit Martina Hinrichs, hat sich Roswitha Hentschel schon den nächsten Schritt vorgenommen. Nach den Umbauarbeiten gegen Ende 2014 will sie eine zweite Stelle für einen Mitarbeiter mit Handicap schaffen: in der Haustechnik. Schließlich hat das Museum dann vier Gebäude, und die zusätzliche Hilfe wird das Team gut gebrauchen können.